Erster Eindruck: eine Ansicht, wie ich sie eben hätte gebrauchen können. Der Halsbaum für die Fockhalsen ist eingezeichnet, eine massive Holzverschalung überdeckt den Ansatz des Bugspriets, doch anstelle des Galions erscheint das blanke Scheg. Fähnrich R. F. Roberts hob zwar die Beschädigungen steuerbords durch den Beschuss der Redoutable hervor, ohne dass sie bei Turner wirklich auffällig wurden, seine Beschreibung der Backbord-Seite hingegen, klingt wie das Leitmotiv dieser Skizze: »The rails and timbers of the head and stem cut by shot.« Die Zerstörungen an Galion und Vordersteven sind nicht zu übersehen.
Auch wenn ich allzugern wüsste, was sich unter dem Rest der herausgetrennten Seite verbirgt, mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Ankerklüsen auf hellem Grund stehen und sich der Streifen zwischen mittlerem und unteren Batteriedeck über das Scheg fortsetzt. Im Weiteren sehen wir ein einfaches Fallreep an der Bordwand in Heller-Baukasten-Manier und das Schanzkleid um die Back. Sieht man nicht? Doch, drei rechteckige Formen über den Fockrüsten markieren Öffnungen.
Aus den Ankerklüsen führen zwei Kabel irgendwohin, wahrscheinlich zum außenbords hängenden Anker, eine Verbindung ist aber nicht erkennbar. Unklar wie der Anker befestigt ist, denn auch backbord fehlt offensichtlich der Kranbalken, und Aufhängung sowie Position sehen provisorisch aus.
Und auch in dieser Skizze… weitere Bemerkungen zur Admiralspforte sind m.E. überflüssig.
Die weiße Flagge ja, die hochgerutschten Rahen sind aber nicht meine Idee.
Der Beschreibungstext von tate.org.uk erwähnt, dass Martin Butlin and Evelyn Joll in »The Paintings of J.M.W. Turner« diese Skizze in Beziehung zu Turners »The Victory Returning from Trafalgar« stellen und als anzunehmende Vorlage betrachten. Ich betrachte es als schwierig, einen Anhaltspunkts zu finden, die frei erfundenen Formen des Gemäldes mit dem gesehenen Schiffsrumpf dieser Zeichnung in Verbindung zu bringen. Genausowenig kommt für mich »Fore Part of Starboard Side« als Anlehnung in Frage; das Gallion im Gemälde hat weder mit der beschädigten noch der unversehrten Seite etwas gemein.
Wunderherrliche Interpretation dieser Seitenansicht. Diese Streifen UM das Scheg finden sich ja auch in der 1807 publizierten Ansicht von Richard Dodd wieder. Dort wird aber sogar die Gallionsregeln in das Farbschema einbezogen.
Diese Zeichnung von Dodd ist beim ersten Hinschauen recht deckungsgleich zu deiner Rekonstruktion. Aber auch dort überaschenderweise kein Stampfstock ...
Ja, das mit dem Stampfstock ist eigenartig. Robert Dodds Victory erinnert auch stark an die Buttersworth-Version - bei beiden fällt die Aufteilung der Geschützpforten auf; die Anzahl im unteren Batteriedeck stimmt, aber es wirkt so, als fehle die erste, und auch die Lüftungspforte.
meiner Meinung nach hast Du das Heck der Victory falsch interprätiert. Die Heckfenster den Seitengallerien sind keine echte Fenster, können also nicht heller sein, als die restlichen. Heller erscheinen sie auf der Skizze, weil der Bereich dazwischen in schatten liegt. Für mich scheint es so, dass die Vic hier offene Gallerien mit Balkonen hat...
Den Gedanken der offenen Galerie hab ich auch schon einige Male bei diesen bildern gehabt, aber hat mich dann am Ende doch nie so überzeugt. Deutung ist in beide Richtungen offen. Ob dann Glas oder fest, dass kann ich beim besten Willen nicht aus den Skizzen lesen.
Zitat von Alexander im Beitrag #79Für mich scheint es so, dass die Vic hier offene Gallerien mit Balkonen hat
Balkons kann man aber in Turners Skizzen zur Victory ausschließen, auch wenn der Spiegel in der letzten sehr sparsam ausfällt, dass er glatt ist, wird deutlich werden. Und dass es sich bei den äußeren Fenstern um Attrappen handelte, ist mehr eine Vermutung - die Livesay-Skizze vom Dezember 1806 ist für mich jedenfalls kein Beweis. Ob man dem übriggebliebenen Spiegel von HMS Implacable in diesem Zusammenhang trauen kann, weiß ich auch nicht, aber zwangsläufig dürften diese blinden Fenster nicht gewesen sein.
Zitat von Maik.L im Beitrag #81Balkons kann man aber in Turners Skizzen zur Victory ausschließen
Warum? Für mich sieht es nach Balkons aus... Dass die Äuseren Fenster die Atrappen waren ist keine Vermutung, sondern gängige Praxis. Es gab auch Ausnahmen. Und wenn es bei der Vic der Fall war, braucht man dafür handfeste Beweise.
Zitat von Maik.L im Beitrag #81die Livesay-Skizze vom Dezember 1806 ist für mich jedenfalls kein Beweis
Für mich auch. Es ist lediglich eine weitere Bestätigung dessen, was man anhand mehreren Originalquellen bereits weiss. Gruß Alexander
Auch @achilles hat sich bei der Anordnung der "mock lights" (nicht verglaste Fenster) nach Steel gerichtet (The Shipwright´s vade-mecum, S.180), der diese Position ebenfalls beschreibt.
Bildschirmfoto 2018-11-17 um 08.55.05.png - Bild entfernt (keine Rechte)
Wobei an den Textausschnitt für mich nicht so ganz klar wird, auf welche Fenster sich dies alles bezieht. Nur die hinteren Fenster oder auch auf die an der Seite. Nur bei kleineren Einheiten oder auch bei den Dreideckern? Steht leider im Gegensatz zu den meisten Modellen, bei denen die Fenster als Kristallpalast dargestellt werden.
Hier stellt sich dann wieder ein Mal die alte Frage zur Verlässlichkeit der Modelle, inwieweit genaues Abbild oder auch künstlerische Konvention undoder als Speichelflussauslöser bei den admiralitiven Entscheidern konzipiert.
Wisst ihr von wann genau der überlebende Heckspiegel der Implacable ist? Gleich nach Umrüstung oder erst bei einem späteren Refit?
Auch waren in späteren Zeiten zur Wahrung der Symmetrie einzelne Fensterpanelspalten ausgeblendet, damit dahinterliegende konstruktive Merkmale nicht störten, so wie die äußere Spalte der zweiten Fenster von außen, hinter denen die Randsomhölzer lagen und die Mittleren Fenster wegen des Ruderkopfes.
Das heißt, die Symmetrie des Heckspiegels konnte funktional losgelöst nach rein formalen Aspekten gestaltet werden, das Konstuktive hatte dann keine Einwirkung auf die Gestaltung mehr.
Nach der umfangreichen Restaurierung der 20er Jahre ist der Heckspiegel der Implacable nicht mehr groß verändert worden. Bei einer weiteren Restaurierung in der zweiten Hälfte des 30er Jahre ist die große Toilettenanlage die die Seitentasche an der Backbordseite zum Teil verdeckte entfernt worden, aber die grundsätzliche Struktur des Heckspiegels ist beibehalten worden. Lediglich die Farbgebung wurde von weiß-schwarz auf gelb-schwarz geändert.
Hier ein Bild von 1939 (TRAUMHAFT-SCHÖN!!!):
Beim Zusammenbau des Heckspiegels in Greenwich sind Fenster vertauscht worden.
@Alexander@dafi vielen Dank erstmal für den Hinweis und die Erläuterung dieser »mock lights«, ich habe die Bilder im Thread angepasst; zumindest am Heck. Bei HMS Trincomalee wäre die Darstellung demnach vorbildlich.
Dennoch wüsste ich gern, ob es bindende Baurichtlinien gab und weshalb dieses Detail bei anderen Nachbauten kaum Berücksichtiung findet, und auch warum es nicht in die Wiederherstellungspläne der Victory einfloss. Auf den Fotos aus der victorianischen Zeit erscheinen die Heckfenster der Seitengalerien, erneut betrachtet, lichtundurchlässig - jedenfalls tritt hier nicht der gleiche Effekt auf wie bei nebenstehendem Bild und Fotos aus Portsmouth neueren Datums - und in victorianischer Zeit eventuell so bei den Seitengalerien angewendet, wie dafi in seinem Baubericht zeigt, also der Form bei HMS Trincomalee entsprechend. Auf diesem Foto der Implacable sind die »mock lights« am Heck massiven Holzkassetten gewichen, seitlich sind es aber anscheinend drei Fenster.
Zitat von Maik.L im Beitrag #81Balkons kann man aber in Turners Skizzen zur Victory ausschließen
Warum? Für mich sieht es nach Balkons aus...
Meine Begründung stand im Nebensatz - in der letzten Skizze wird man sehen, dass der Spiegel glatt ist. Und in den Zusammenhang des gesamten Skizzenkomplexes eingeordnet, sehe ich auch keinen Widerspruch zu den Henslow-Plänen - Dreadnought (Date made 1802) und Queen Charlotte (Date made 1801) - aus der Zeit des »Great Repair«. Wenn ich es richtig verstanden habe, waren die Schiffbaumeister an John Henslows Vorgaben gebunden.
Zitat von Maik.L im Beitrag #87....]Auf diesem Foto der Implacable[/URL] sind die »mock lights« am Heck massiven Holzkassetten gewichen, seitlich sind es aber anscheinend drei Fenster...
Nein, die Fenster an der Seite waren zu
Man könnte in verschieden Fotos von nach der Restauration es so deuten, dass die untere Fensterreihe tatsächlich (nachträglich) verglast waren, aber ich glaube sie waren immer zu.
Hier wird der Waschraum an der Backbordseite demontiert. Man sieht, dass die vermeintlich verglasten Flächen unten an der Seitentasche weiß gestrichen sind. In Anbetracht dessen was man im Bild in #88 erkennen kann, glaube ich nicht, dass Glas überpinselt wurde. Die Spanier haben es häufig so gemacht, dass von einem Feld von neun Glasscheiben, tatsächlich nur eines davon verglast war. Und manchmal auch nur ein einziges Glasscheibchen für die komplette Seitentasche. Alle anderen "Scheiben" waren Fake. Ich kann mir vorstellen, dass es bei der Franzosen vielleicht ähnlich war.