So fing alles an: ein grobpixeliges Foto auf einer digitalen Versteigerungsplattform, das mich aufmerksam werden ließ:
Natürlich der berühmte "Dachbodenfund", bei dem es immer nicht so ganz unwahrscheinlich ist, dass die Sachen völlig zu Recht beim Gerümpel gelandet sind. Ich war dennoch angef.., Pardon! Ich war interessiert und bot mit. Es wurde nicht ganz billig, zwei oder drei andere Interessenten witterten wohl auch etwas Lohnenswertes; aber ich erhielt den Zuschlag. Drei Wochen und einen nervigen Briefwechsel später lag das Teil im Kofferraum meines Autos und fuhr in sein neues Zuhause. Das liegt jetzt über sechs Jahre zurück. In der ersten Phase meiner Arbeit wollte ich zweierlei wissen. Was ist das? und ist das wirklich was Besonderes? Tatsächlich war das Modell (knapp 160 cm lang) so beschädigt, verstaubt, verdreckt etc., dass die Analyse nicht ganz leicht fiel. Mut machte mir dann die erste Reinigung eines Beschlagteils, einer Dampfwinsch:
Ich erklärte daraufhin ein kleines, leer stehendes Zimmer zur vorübergehenden Restaurierungswerkstatt. In den nächsten Tagen pflückte ich Hunderte von Einzelteilen von dem Modell herunter, die sich zum Glück alle weitgehend problemlos lösen ließen, da sie nur mit dünnen Nägeln befestigt waren. Dabei fotografierte ich jeden Handgriff. Die Teile wurden gesäubert und in Kästen gesammelt.
da hast Du wohl ein schönes Modell ersteigert, mit natürlich viel Arbeit. Aber nach den von Dir hier vorgestellten Teilen scheint das Modell sehr detailreich und in guter, vielleicht so gar hervorragender Qualität gebaut zu sein. In jedem Fall äußerst interessant und eine schöne Aufgabe es zu restauieren. Da möchte man schon ein bisschen neidisch werden ...
Viele Grüße Johann
"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" Erich Kästner
"Ich gibs so gut / als ichs errang / Drumb ist mir vor keim Momo bang. Wer bessers waist / und kans erweisen / Der gebs herfür: Ich will ihn preisen." (Joseph Furttenbach 1591-1667)
Hallo Schmidt, eigentlich sind zwar Segelschiffe meine Leidenschaft, aber ab und zu, wenn's was interessantes ist, bin ich auch für Excurse nicht abgeneigt. Und das hier erscheint mir durchaus sehr interessant!! Bin mal wirklich gespannt, wie so ein überhaupt Modell restauriert wird, hab das noch nie gesehen. Viel Erfolg!!
Grüsse, Joachim
Schöne Grüße Joachim
Mein neues Buch in Deutsch und Englisch erhältlich: "Die Farbe Blau im historischen Schiffbau - von der Antike bis in die Neuzeit" siehe dazu: http://www.modellbau-muellerschoen.de
Zunächst mein herzlicher Dank für die Aufnahme hier und den Sonderplatz. Ich hoffe, einige Überlegungen, Techniken und Verfahren zeigen zu können, die für alle Restaurationsabeiten, egal an was für einem Modell, interessant sein könnten. Außerdem kann ich mit der Kaiser Franz Joseph I. (ab jetzt der Einfachheit halber KFJI) einen Einblick in die Arbeit unserer "Modellbau-Ahnen" geben. Damit bin ich beim Thema. Dass es sich bei dem Modell um etwas nicht ganz Durchschnittliches handelte, bewiesen mir ja nach ihrer Säuberung die Beschlagteile. Allein die große Ankerwinsch (oben im Bild) ist ja ein kleines Kunstwerk, zusammengesetzt aus vielen, teils blanken, teils brünierten Messingteilen, die allesamt in Handarbeit entstanden sein müssen. Also machte ich mich auf die Suche nach einem historischen Vorbild für das Modell. (Denn von einer KFJI wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.) Einziger Hinweis war der (mit Tinte?, jedenfalls ziemlich unprofessionell) auf den Bug gemalte Name:
Nun leben wir im Zeitalter der Information (über alles und jedes), und es war nicht sehr schwer, einen 160 Meter langen Zweischornsteiner zu ermitteln, der irgendwann in seiner Laufbahn "Marco Polo" geheißen hat. Tatsächlich handelt es sich um die KFJI, gebaut 1912 in Triest als das größte Schiff der österreichischen (!) Handelsmarine. So hat sie 1913 ausgesehen:
Nach dem ersten Weltkrieg fiel sie zusammen mit Triest an Italien und wurde in Presidente Wilson umbenannt. Die Schornsteine sind etwas verkleinert.
Und dies ist sie als Marco Polo aus den 30er Jahren, zwischenzeitlich hießt sie auch Gange (Ganges); jetzt weiß lackiert und mit noch kürzeren Schloten:
Das Modell war offenbar parallel zu seinem Vorbild umlackiert worden, wobei diese "Anpassungsmaßnahme" keineswegs so sorgfältig ausgeführt worden war wie das Modell selbst, das, wie ich heute fest glaube, zusammen mit dem Original, also noch vor dem Ersten Weltkrieg, gefertigt wurde. Im Folgenden noch zwei Detailfotos vom Zustand, in dem ich das Modell erwarb. So gut "weathern" kann nur die Zeit selbst.
Ich denke, man kann nachvollziehen, dass ich während der ersten Sicherungsmaßnahmen schwer zerrissen war: Einerseits wurde mir immer klarer, was für ein (historisches!) Schmuckstück ich da vor mir hatte, andererseits war der Grad der Zerstörung, des Verfalls und der Verunstaltung doch sehr sehr groß! Würde überhaupt irgendwer es schaffen, dieses Modell zu restaurieren? Und könnte dieser Jemand ich sein? Meine Zweifel sind bis heute noch nicht ganz ausgeräumt. Aber davon später mehr.
Hallo Schmidt Ein historisches Modell im besten und doppelten Sinne, sowohl das Vorbild, als auch das Modell als solches und ein Schmuckstück dazu. Ich wünsche Dir gutes Gelingen.
bis denne Willi
Es ist nicht alles falsch, was man nicht versteht.
Ist zwar ne Blechbüchse, aber ich bin absolut gespannt, was Du daraus zauberst. Führst Du das Modell wieder in seinen Originalzustand, sprich in das Aussehen vor dem ersten Weltkrieg zurück?
Gruß Christian
in der Werft: Cutter Alert, 1777, HM Sloop Fly, 1776 - 1:36 auf dem Zeichenbrett: Cutter Alert, 1777, HM Sloop Fly, 1776, HM Fireship Comet, 1783, HM Boomb Vessel Aetna, 1777
Pause: HMS Triton, 1771 - 1:48
"Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen." "Habe keine Angst vor der Perfektion - Du wirst sie nie erreichen" Salvador Dali
Ja, was sollte ich mit meiner schönen schrecklichen Anschaffung machen? Meine erste Idee war (natürlich), das Modell gründlich zu säubern und die beschädigten Bereiche auf den oberen Decks behutsam zu rekonstruieren. Aber unter dem Dreck von mehreren Jahrzehnten kamen eigentlich nur verfleckte oder unsauber übermalte Oberflächen zu Tage. Und selbst mit einem eigens dafür angefertigten Ministaubsauger mit beweglicher Düse (Um-die Ecke-Sauger) bekam ich den Dreck nicht aus den schwer zugänglichen Bereichen zwischen den Decks. Das Bild oben, das den letzten Schiffsnamen zeigt, zeigt ja auch den Zustand der Außenbemalung. Die Farbe, schlimm über die Bullaugen aus Messing gezogen, war auf jedem Millimeter gerissen. Hier ein weiteres Beispiel dafür:
Das ist keine Patina, das ist einfach nur fortgeschrittener Verfall einer eh schon unsauberen Arbeit. So fiel dann die Entscheidung, das Modell wieder in seinen Ursprungszustand des Jahres 1912 oder 1913 zurückzuversetzen. Ich will nicht verhehlen, dass mir diese Entscheidung unruhige Träume eingebracht hat - und später dann eine mir damals unvorstellbare Menge Arbeit. Von heute aus betrachtet, war es auch tatsächlich Unsinn! Die Entscheidung liegt über sechs Jahre zurück. Damals wusste ich z.B noch nichts vom Abgießen und hatte keinerlei Erfahrung mit großflächigen Lackierungen. Aber man wächst ja an seinen Aufgaben, oder?
Ein mglw. 100 Jahre altes Modell zu zerlegen ist eine Art archäologischer Arbeit. Ich war zunächst in Hochstimmung geraten, weil sich die Beschläge so gut ablösen ließen, da sie nicht geklebt, sondern gestiftet waren. Aber wie sollte ich die Decks voneinander trennen? Wären sie miteinander verklebt, könnte ich sie nicht ohne schwere Beschädigung voneinander trennen. Nach einer ziemlich langen Suche fiel mir ein Deckshaus auf dem obersten Deck auf, dessen Dach ebenfalls gestiftet war. Vorsichtig abgehebelt, gab es eine große Holzschraube frei, die die Decks miteinander verband. War der Anfang gemacht, ging es schnell. Nach der Abnahme jedes Decks kamen neue Verbindungsschrauben zum Vorschein. Dennoch musste ich beim Trennen der Decks vorsichtig sein, da sie teilweise durch Stützen miteinander verbunden waren:
Die Freilegung bislang unzugänglicher Bereiche zeigte allerdings auch, wie sehr Schmutz und Feuchtigkeit dem Modell zugesetzt hatten:
Gelegentlich glänzte mir unter abgehebelten Teilen das unbeschädigte Material entgegen und vermittelte eine Ahnung davon, welche Pracht das Modell einst ausgestrahlt hatte:
Schließlich erwiesen sich auch die unmittelbar auf dem Rumpf liegenden Decks als nicht verleimt. Die Modellbauer hatten sie aus Nussbaumplatten hergestellt, die zu den Kanten hin dünner geschliffen waren, um eine Balkenbucht zu simulieren. Ein Trick, den man sich vielleicht merken sollte:
Nach Art der Zeit waren die Plankenverläufe mit Tusche auf das Holz gemalt. Aber die Feuchtigkeit hatte den schützenden Lack so sehr angegriffen, dass mir schon nach ersten Versuchen klar wurde: Ich musste die Teile gründlich abschleifen, um sie dann neu gestalten zu können.
Und so sah der Rumpf nach Wegnahme aller Beschläge, Decks, Aufbauten etc. aus. Ein Kenner versicherte mir, er sei aus Lindenholz gebaut. Tatsächlich roch er im Inneren ausgesprochen frisch. Schleifversuche an den Bordwänden brachten die ursprüngliche Farbe zum Vorschein, freilich auch eine Vielzahl von schweren Kratzern und Stoßspuren.
Dennoch fühlte ich mich nach den Tagen der Zerlegung imstande, die Arbeit zu bewältigen. Eben Teil für Teil. Damals wusste ich noch nicht, dass jede Arbeit, deren Aufwand mit zehn oder hundert multipliziert ist, eine rechte Belastung werden kann. Und einiges andere wusste ich auch noch nicht. Und das war gut so, weil ich noch eine Zeitlang vom Erfolg der "Dekonstruktion" zehren konnte.
Sehr interessantes Projekt, vor allem auch die alten Techniken zu sehen. Man konnte also tatsächlich vor Zeiten des Sekundenklebers Modellbau betreiben?!?
Die einzigen Klebestellen, die ich gefunden habe, sind die, an denen der Rumpf aus Lagen (oder Bohlen) von Lindenholz zusammengeklebt ist. Ansonsten war ALLES geschraubt oder gestiftet. Just als hätten die Leute vor 100 Jahren gewusst, dass jemand das Modell einmal komplett demontieren würde. Ich bin mir heute sicher, dass ich ein geklebtes Modell im Laufe der Zerlegung (zumindest in Teilen) zerstört hätte. Schmidt
Ich denke, man würde das heute ein Schichtmodell nennen, wobei die Holzschichten im Mittelbereich einen quaderförmigen Hohlraum lassen, der allerdings wieder mit Querverbindungen abgestützt ist, damit die Seiten nicht nach innen "fallen". Sprich: alles sehr massiv und gewissermaßen für die Ewigkeit gebaut. Besonders beachtenswert ist dabei, dass die Modellbauer von 1912 trotz dieser massiven Bauweise den Decksprung nachgebildet haben. (Rumpf vorn und hinten höher.) Zusammen mit der Nachbildung der Balkenbucht bei Decks und Aufbauten gibt das dem großen und etwas klobigen Modell eine gewisse Eleganz. Es gibt ein Foto vom Rumpf im Wiederaufbau, das sehr gut zeigt, was ich meine. Ich werde es an gegebener Stelle einfügen. Schmidt
Ich finde es ja echt spannend - was doch wirklich für ein Schätzchen unter dem Berg von Staub und Dreck vor sich hinschlummerte. Freue mich schon wenn es weiter geht. Vor einiger Zeit hatte ich mal eine Santa Maria in einem ähnlichen Zustand, da bin ich dann bei der Restaurierung kläglich gescheitert und das Wrack wurde entgültig versenkt... :o/
"Ich gibs so gut / als ichs errang / Drumb ist mir vor keim Momo bang. Wer bessers waist / und kans erweisen / Der gebs herfür: Ich will ihn preisen." (Joseph Furttenbach 1591-1667)
Das Foto zeigt vielleicht noch etwas deutlicher, was ich oben zu beschreiben versucht habe: den "Schwung" des Rumpfes. Auf eine absolut exakte Ausrichtung der Bullaugen legten die Modellbauer allerdings weniger Wert. Davon wird noch zu berichten sein. Schmidt