Natürlich stellt man sich die Frage, ob nicht Genaueres zu den Farbanalysen zu erfahren ist, weshalb ich nochmal direkt auf der Website von Crick-Smith nachgesehen habe. Der Auftrag zur Victory sticht neben den vielen anderen Projekten zunächst nicht ins Auge, aber bei genauerem Hinsehen findet man dort zwei Links zu YouTube-Videos:
Im kurzen Vorspann von HMS Victory - In Her True Colours (Am 25.10.2015 veröffentlicht) wird "Carpenter's account for paint" genannt: White 109 lb, Yellow 100 lb. Worauf sich die Zahlen stützen, wird mir nicht klar, aber ich denke, damit will man frühzeitig der Kritik am Ockerton begegnen.
Im Folgenden sieht man die Verwandlung im Zeitraffer und erhält einen interessanten Einblick in die Arbeit von Michael Crick-Smith. An in Kunstharz eingegossenen Farbproben, unter dem Mikroskop betrachtet, datiert er einen dunkleren Ockerton auf 1802, die nachste Schicht ist wesentlich heller und von Brandspuren durchsetzt, offenbar von der Trafalgar-Schlacht herrührend. Ferner zeigt er auf Farbtafel-Resultate für den Streifen-Look und die feurig roten Innenseiten der Geschützpfortendeckel, sowie den nochmal blasser ausfallenden Farbton der Masten, der allerdings erst im nächsten Film am Schiff angewandt zu sehen ist. Zum Rot wird noch die Zusammensetzung und Farbkonsistenz besprochen, d.h. das mit Leinöl angeriebene Pigment, wird mit Kalziumkarbonat (also Lime Paint) angedickt, ohne die Intensität und Tonalität der Farbe zu verändern, um schließlich als relativ zähe Masse zum Aufbewahren in Ledersäcke abgefüllt zu werden. Mit Terpentin versetzt, wird später streichfähige Farbe daraus. Innen schwarz bemalte Pfortendeckel, die Goodwins Beschreibung der Nelson Chequer entgegenkämen, werden nicht erwähnt.
HMS Victory | Walkthrough Tour April 2017 | 4k. Kommentarlos betritt man das Schiff und spaziert knapp eine halbe Stunde übers Deck und durchs Schiffsinnere. Viel Zeit, um die Farben zu betrachten. Außer dem Ockerton der Außenbemalung und der fast weißen Masten, sieht man verschiedendste Schattierungen, angefangen beim kräftigen Ocker der Dollbords der auf Deck gelagerten Boote, über einen helleren Ton der Geschützlafetten bis hin zur weiß- und cremefarbenen Innenbemalung des oberen Batteriedecks. Auf der Innenseite des Hackbords sieht man den Vorher-Nachher-Effekt, weil die Regalschränke für die Signalflaggen demontiert sind. Im Schiffsinneren ist vom Rot wegen des blenden Lichteinfalls nichts zu spüren - Sprietbaum und Fockmast sind unterdecks genauso weiß wie die Umgebung.
Zwar nicht mehr brandneu, aber ein seltener Einblick in die Restaurierungsarbeiten, welche das Schiff fit für die nächsten 30 bis 100 Jahre machen sollen. Ein beachtliches Holzlager. Und erstaunlich, dass im freigelegten Spant-Gerüst stark verrottete Hölzer auftauchen, die laut Bauleiter aus dem 20. Jahrhundert stammen.
ist nicht wirklich erstaunlich. Bei der Restaurattion eines alten Schwarzwaldhauses fiel auf das die Hölzer aus den 70er die qualitativ schlechteren waren und allr raus mußten. Ab den 60er und abwäerts wurden sie immer besser. Ich hatte sogar noch original Dachlatten aus dem 17 Jahrheundert-diese waren die besten.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass zu Zeiten der Wooden Walls deren Bauholz wochen-oder sogar monatelang in Meerwasser eingelegt wurden. Die Zeit hat man sich in neuerer Zeit wohl nicht mehr genommen, oder? Vielleicht liegt hier ja ein Grund für die verblüffende Haltbarkeit. Abgesehen davon gab es auch Schiffe, die nach nur wenigen Betriebsjahren komplett rott waren.
bis denne Willi
Es ist nicht alles falsch, was man nicht versteht.
Dass das Schwarzwaldholz vor dem Einbau in Salzwasser gelegen haben könnte ist doch wohl eher unwahrscheinlich, oder? Wie haben die dann früher alternativ das Holz länger haltbar (erinnert mich jetzt irgendwie an Milch 😉) gemacht?
Milch klingt plausibel, wenn es um Feuchtigkeit und Porenverschluss geht. Im Rakubrand bekommt man jedenfalls die selbstgebrannte Keramikschale dicht, indem man Milch drin sauer werden lässt. Zumindest die Schiffsmasten betreffend kann ich aber @Willi beipflichten: Salzwasserbecken zur Lagerung von Masten (Mast Ponds) gehörten zur Werftanlage in Chatham.
Im YouTube-Video »Heritage Talk: Repair and Renewal - HMS Victory's Timber Rase Marks« vom 12.08.2022 zeigt der Referent Graham Scott aktuelle Schiffspläne*, farblich in verschiedene Bereiche geteilt, um die Hölzer verschiedener Reparaturphasen zu lokalisieren; weiter gehe ich aber auf das gewiss interessante Thema des Videos nicht ein.
Mein Augenmerk gilt diesem Plan:
* Ich lese gerade im Kleindruckten: 23.10.2013
Hier die Legende nochmal ausführlicher
Phase
Color
Period
What happened?
1
blue
1759-1777
Construction and pre-service
2
blue
1778-1812
Active service career, inc. Trafalgar 1805
3
blue
1812-1921
Harbour service
4a
yellow
1922-1965
Reconstruction - moved to dry dock early 1920s
4b
green
1966-2013
Reconstruction - major repairs from 1954
Kombiniert mit dem Bauplan aus dem Jahr 1830, der in den grundlegenden Details mit Thomas Slades Plan vom 6. Juni 1759 übereinstimmt, wird ein giftiges Gemisch draus.
Deckungsgleich ist die achterne Partie und unterstreicht Graham Scotts Anmerkung, dass man beim 1922 begonnenen Rückbau im Trockendock im Wesentlichen die Form aus dem 18. Jahrhundert rekonstruierte - offensichtlich mit Ausnahme des blaugefärbten Teils des Vordersteffens, der weicht deutlich vom ursprünglichen Plan ab. Und zumindest gleichsam auffällig: Position und Ausrichtung der Masten bleiben von der Formverzerrung verschont.
Mit großem Aufwand kämpft man im laufenden »Big Refit« um die Erhaltung des Schiffes, die Deformation des Rumpfes wird sich aber nie mehr gerade ziehen lassen.
Ui, das sieht spannend aus! Das "Hogging" nimmt hier ja immense Ausmasse an!
Du hast sicher mal die Pläne mit "ebenem Kiel" übereinandergelegt. Also in der Mitte beide Kiel-Linien identisch - aber dafür vorn und hinten den "neueren Plan" mit dem Hogging etwas abgesunken. Dadurch kämen der Bug des Scott Planes deutlich höher (bzw. der Slade Plan deutlich tiefer - was realistischer sein wird) und auch die Steven am Bug etwas näher zueinander.. dafür würde das Heck am oberen Ende etwas voneinander "trennen" - aber viel wird das nicht sein, denn der Drehpunkt ist nahe dem unteren Ende des Heckstevens .. Ich denke, damit wäre das Durchbiegen etwas realistischer dargestellt. Und dann sind die Unterschiede auch gar nicht mehr so "giftig". Schon mal probiert?
Klar, damit ändern sich dann aber auch die Mastpositionen voneinander - was vermutlich etwas realistischer sein wird.
Zitat von hanseat im Beitrag #157Dass das Schwarzwaldholz vor dem Einbau in Salzwasser gelegen haben könnte ist doch wohl eher unwahrscheinlich, oder? Wie haben die dann früher alternativ das Holz länger haltbar (erinnert mich jetzt irgendwie an Milch 😉) gemacht?
Wir wohnen in einem Fachwerkhaus von ca. 1710-20. Das ist verbürgt, weil das Alter an zwei zentralen Balken mittels Baumring-Verfahren ermittelt wurde. Der Ältere der beiden Bäumen hat 1564 begonnen zu wachsen - der jüngere 1626. Der ältere Baum wurde 1693, der jüngere 1703 gefällt. Beachtet man die notwendige Trocknungsphase, wird das Alter des Hauses mit ca. 1710 - bis max. 1723 geschätzt. Wow - wenn ich darüber nachdenke. 1564 wurde Galileo Galilei geboren - da fing die alte Eiche zu wachsen an. Und 1710 ist Ludwig der 15 geboren ... und was zwischen diesen beiden Daten so alles schon passiert ist! Der Bauherr soll einer der Jäger des alten Karl-Wilhem III von Baden (Karlsruhe!) gewesen sein.
Der heutige Besitzer hat das Haus in den 1970-80igern komplett saniert. Sehr viele der alten Hölzer konnten erhalten werden, ich schätze ca. 1/3 wurden neu gefertigt. Danach, als das Fachwerk komplett wieder stand (das "Mauerwerk" bzw. die Verfüllungen aus Lehm und Stroh waren noch weg) wurde das Haus mit einer Folie komplett abgeschlossen - dann 2 Ölfässer reingestellt und drinnen angezündet (so hat er mir´s erklärt). Durch die Hitze, die dann unter der Folie im Innenraum dieses Fachwerks entstand, sei dann das Eiweis im "neuen" Holz - tja.. was .. "geronnen"?. .. jedenfalls ungeniessbar für Holzwürmer geworden.
Tatsächlich gibt es im Haus kein holzfressendes Ungeziefer. Die ganz alten Balken zeigen zwar Holzwurmfras-Spuren - aber es findet sich nirgens "Späne" oder Holzstaub - oder die kleinen Käfer.
Ob das eine Methode beim Schiffsbau war??? Aber sie scheint zu funktionieren - und die alten Baumeister hatten ihre Tricks!
Zitat von dafi im Beitrag #162Kannst du mir einen Gefallen tun und die beiden Bug-Partien aneinander ausrichten? Also "Hogging nur hinten".
Ich würde die beiden Unterschiede dort gerne sehen.
Ich auch . Aber Hogging "nur hinten"?
Ich würde - wie oben in #160 angedeutet - lieber um den Achtersteven-Tiefpunkt drehend den Bugsteven der beiden Schnitte in Deckung bringen - und dann vielleicht den neueren Schnitt (der mit dem Hogging) absenken - bis sich die Kiellinien des Katzenbuckels mit der Kiellinie das originalen Schiffes deckt. So ergäbe sich vermutlich ein realistischeres Bild. Denn das Schiff wird sicher ähnlich im Wasser getrimmt liegen - aber eben am Bug und Heck etwas tiefer.
In echt würde natürlich das "katzenbuckelnde" Schiff im Wasser in der Mitte etwas oberhalb der alten Linie liegen - und an Bug und Heck etwas darunter (abhängig von der jeweiligen Auftriebsverteilung der beiden unterschiedlichen Rümpfe). Aber das wird sich nicht viel geben und ist vermutlich auch über die Ladung deutlich unterschiedlicher.
Allerdings: das Heck könnte vermutlich etwas tiefer eintauchen wollen - da dort weniger tragfähiges Schiffsvolumen ist, als am völligen Bug. Hm.. ist es das, was Du sehen willst, Daniel?
Wonach würde sich der Segelmeister (macht der das?) beim Ausbalancieren der Ladung und des Ballastes wohl richten? Würde er die alte (ihm unbekannte) Wasserlinie suchen wollen? Würde er lieber mit dem Hintern tiefer im Wasser sitzen wollen? Er würde die "schnellere" Variante bevorzugen - weil ihm der alte Zustand ja eh nicht bekannt sein kann.
@Marcus.K. das ist natürlich eine schöne Geschichte zu altem Holz. Der »Big Refit« ist umfassender als die Instandhaltung des Schiffes allein. Die Victory ist zum Forschungsobjekt geworden. Eine Biologin erstellt ein Bestiarium der verborgenen Schiffsbewohner und hat eine Ausstellung dazu eingerichtet; anders als beim Fachwerk, gibt es unter der Beplankung viele Hohlräume, in die Wasser von oben eindringt. Und zu guter Letzt hat auch die Dockanlage musealen Wert, der erhalten werden muss.