Zitat von ara im Beitrag #889Nun, die Batavia ist nicht wirklich aussagekräftig, die ist in großen Teilen von der Vasa abgekupfert, was meiner Meinung nach in sich schon illegitim ist - ein Retourschiff ist ja doch etwas ganz anderes als ein Prestige-Kriegsschiff. In Australien haben sich ja Wrackteile der Batavia erhalten, ganz anders als in Lelystad. Wenn man rekonstruieren muss, weil man keine Originalaufnahmen hat, sollte man sich auf jeden Fall nicht einfach mit modernen Versuchen (z.B. Dik, Blom, Batavia, ZP in Lelystad) zufriedengeben, sondern zuerst immer Unterlagen aus größtmöglicher zeitlicher Nähe zum Original heranziehen, die´s ja in unserem Fall gottseidank gibt - also Van Yk, Witsen, die Vasa, Bauzerter, die Van de Veldes, und natürlich die beiden Modelle HZ u. Genter selber. Von außen kann man eine ganze Menge über die Galerien erschließen.
Ich glaube nicht, dass wir diese Konstruktion von der Vasa bzw. der Batavia (in Lelystad) für das HZM übernehmen können. Zum einen haben die Seitentaschen der Vasa je nur eine Schlingerleiste und die ist auch noch komplett flach:
Die Seitentaschen des HZM dagegen haben zwei parallele Schlingerleisten...
...die verglichen mit der Vasa zu dem auch noch stark geschwungen sind. Ich glaube kaum, dass die obere bzw. die untere Schlingerleiste des HZM eine über- oder untergeordnete Rolle der Unterkonstruktion spielen.
Ich glaube in Tafel 8 des Buches Holzdübel ausmachen zu können, hier in rot dargestellt:
In wie weit diese Beobachtung akkurat ist, kann man diskutieren, aber wo ich drauf hinaus möchte ist, dass man die Unterkonstruktion der Seitentaschen der Vasa nicht so ohne Weiteres auf das HZM übertragen kann. Viel eher möchte ich nicht ausschließen, dass wir bei den Seitentaschen des HZM vielleicht auch eine gewisse "Shell-first" Vorgehensweise haben könnten, bei der an den Innenseiten angebolzt wurde was passt, wo auch immer es passt.
@ray Die Relingsleisten der Marsen sind über Hitze geformt. :)
Als tragende Elemente sind diese hochgezogenen Schlingerleistenfortführungen sicher nicht anzusehen. Sie geben eben den Schwung vor, der den Bargholzverlauf dynamisch nach achtern anhebt und in die Heckkonstruktion überführt. Mit einem Gerüst aus fünf tragenden Spanten unterhalb der Schnitzereien und entsprechenden Füllspanten dazwischen wird die Galeriekonstruktion wohl genügend Stabilität bekommen. Und ob das Innere nun an die Batavia angelehnt ist oder einfach pragmatisch ausgeführt wird, wird letztlich egal sein, da man dort ohnehin nicht hineinsehen kann. :-)
Hier ist das Beispiel der Zwyndrecht (Rijksmuseum Amsterdam; kein Datum angegeben;schätze das Modell auf ca. 1708 herum). Die Seitengalerie ist dreiteilig: oben und unten je ein Holzblock mit Sponung; dazwischen stehende Planken mit der Aussparung für die Lüftungsklappe und innen wohl kleine Stützen. S (2451).gif - Bild entfernt (keine Rechte) S (2452).gif - Bild entfernt (keine Rechte) S (2453).gif - Bild entfernt (keine Rechte) Modellbau ist eben doch nur Modellbau. Wir haben am HZ ja auch schon viele Versimplungen und Auslassungen entdeckt, ebenso an den anderen historischen Modellen. Hat jemand eine Heckansicht dieses Zwyndrecht-Modells? https://www.rijksmuseum.nl/nl/zoeken/obj...2#/NG-NM-9415,2
Diese Seitentasche scheint ne dreiteilige Vollholzschnitzerei zu sein. Kein weiterer Erkenntnisgewinn also, dafür aber ein rattenscharfes Modell. Danke! :-)
Gut möglich. Auch die "Fenster"- Flächen sehen ja nicht unbedingt nach einer Plankenkonstruktion aus, sondern eher nach einem kompakten Holzkorpus, auf dem dann die Zierleisten und Schnitzereien appliziert wurden. :-(
Im Kapitel "Aufteilung und Einrichtung der Räume" schreibt HW: "...Vom achtersten Ende der Kajüte führten beiderseits ebenfalls durch Schnitzwerk ausgezeichnete Türen in die schon oben näher charakterisierten Taschen. Diese enthielten jede nach achtern hin ein Klosett. Wie man durch die auf Taf. 8 sichtbare zweiflügelige Lüftungsklappe abtasten konnte, waren die (für Männer bestimmten) Sitzöffnungen nicht vergessen worden. .."
Also werden die Seitentaschen des HZM auch ein "Innenleben" gehabt haben. Ich tendiere eher dazu die Unterkonstruktion des Wulf bzw. des abnehmbaren Oberspiegels für die Seitentaschen zu übernehmen.
So hatte ich mir das auch vorgestellt. Wobei es gar nicht so leicht sein dürfte, die Linien zu bestimmen, aber mit solchen Kartonschablonen und ein wenig trial & error lässt sich das sicher gut bewerkstelligen. :-)
Zitat von Eddie im Beitrag #3189So hatte ich mir das auch vorgestellt. Wobei es gar nicht so leicht sein dürfte, die Linien zu bestimmen, aber mit solchen Kartonschablonen und ein wenig trial & error lässt sich das sicher gut bewerkstelligen. :-)
Nun, über diesen Punkt bin ich schon seit einigen Tagen hinweg. Die Form der Seitentaschen steht jetzt, aber du hast Recht - es bedeutete jede Menge Anpassarbeit, Augenmaß nehmen, Schnippelei, Verwerfen, neu machen, wieder anpassen... usw., usw. Aber da kommt bei mir unweigerlich die Frage auf: wie haben die das damals gemacht? Ohne Pläne! Ok, die Pläne die ich habe sind auch nur sehr rudimentär aber dafür sind die Hölzer die ich verarbeite lediglich ein paar Gramm schwer. Eine Schlingerleiste einer Seitentasche dürfte im Original vielleicht etwa 40kg gewogen haben, eine des Heckspiegels sicherlich über 100kg wenn sie denn aus einem Stück gefertigt wurde. Aber schaut euch mal dieses Bild an wie die Leiste sich verdreht um die Schlingerleiste der Seitentasche aufzunehmen:
Ich kann es so oft ausprobieren wie ich will um es nach meinem Befinden passend zu bekommen, Materialkosten sind an meiner (Mini-)werft nun wirklich kein Faktor. Aber im 17. Jahrhundert wurden diese Teile vorab in Form gehauen und mittels hölzerne Kräne angehoben und installiert und sie mussten passen und sie haben gepasst! Es gibt keine gerade Linie, je mehr barocker Schwung - umso besser! Man hat wirklich den Eindruck, dass sie mit geraden Linien nicht arbeiten konnten und deswegen versucht hatten, sie nach Möglichkeit zu vermeiden! Es ist für mich ein Leichtes aus Kartonschnipsel Schablonen und Gerüste zu erstellen um vorab die Form des Teils zu prüfen, aber in 1:1 geht das natürlich nicht!
Sie tickten ganz anders als wir! Es war nicht ein Einzelner der auf ein Stück Eichenholz zeigte und den Leuten erklärte was zu tun ist; seine Leute wussten bereits was zu tun ist und wie es zu tun ist! Sie konnten es!!!
Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren an diesem Modell und da kommt mir halt immer wieder die Frage auf: wie haben die das damals gemacht?
Ich wünschte ich hätte mal die Gelegenheit denen mal über die Schulter zu schauen...
@Eddie - dünnen Brettchen, hmmh? Wie dünn mögen die gewesen sein? 2 cm oder 6 cm? So eine Schablone für die Seitentasche ~ 6-7m, für die Schlingerleiste ~ 11-12m ist das dann noch bruchfrei zu Händeln? Hast du schon mal ein Brett mit den Maßen: 2,8 cm X 40 cm X 300 cm transportiert/ bewegt oder eine Küchenarbeitsplatte über 5 m? Die biegt und verdreht sich wie ein Seil. Oder eine Schlingerleisten-Schablone für die Steuerbordseite, eine für die Backbordseite und eine für das Mittelstück, was wiederum zu Händeln wäre? Oder ist die Schablone nur für die Verbindungen der Taschen mit der Schlingergerleiste? Wurden die Schlingerleisten aus einem ganzen Stamm gesägt/ geschnitzt, wurde sie aus zwei, drei Teilen zusammengefügt, das habe ich im Moment nicht vor Augen? Vielleicht denke ich/ wir auch nur mit unseren heutigen Konstruktionsaugen als Modellbauer, iss halt alles ein wenig kleiner und voller Perfektionismus im Millimeterbereich. Fragen über Fragen! Mir fällt gerade ein Ausspruch ein: "Watt nich passt, wird passend gemacht!"
Gruß Dirk
Recherche und Bauvorbereitung: Niederländische Pinas/ Fregatte des späten 17. Jahrhunderts
"Ihr seid mein König? Also, ich habe Euch nicht gewählt!"
Beim Bau der Schiffseiten braucht es Auflanger über den Rumpf verteilt, den Scheerstrook und die Sentlatten. Bei der Gestaltung der Seitengalerie wird es analog sein. Der Scheerstrook ist hier die Schlingerplanke, auf die dann später die Schlingerleiste draufgespieckert wird. Die unteren Knien der Seitengalerien sind gewissermaßen die Auflanger. Man braucht ja nicht so viele (max. 6-7). Der Rest ist Außenmaß so wie beim Rumpfbau.
@Benjamin Raule - Ich habe schon schwere, verzierte Bilderrahmen mit Schenkellängen von über 6 m angefertigt. Mit verplatteten Gehrungen, die natürlich erst vor Ort verschraubt wurden, in diesem Fall in einem Schaufenster des Berliner KaDeWe. An einen anderen, schlichteren Rahmen erinnere ich mich, der war an die 12 Meter lang, zum Glück aber gerade mal ca. einen Meter breit. In den wurde ein Panorama-Gemälde eingerahmt, und da die genormte Industrielänge von Rohleisten nur drei Meter beträgt, musste auch dieser aus Einzelleisten zusammengesetzt und aufgedoppelt werden. Sowas ist jedenfalls nur in einer engen Rahmenwerkstatt ein gewisses Problem, weil man die langen Schenkel kaum bewegen kann und sie dauernd im Weg sind. :-)
Ansonsten denke ich, daß für so ne seitliche (eventuell auch zusammengesetzte) Schlingerleistenschablone aus billigem biegsamem Holz eine Stärke von 1-2 cm und eine finale Breite (nach dem Ausarbeiten der Kurve) von 12 cm völlig ausreicht, da zuvor ja genügend höhenverstellbare Auflagepunkte geschaffen wurden, auf welche das Ding dann mit entsprechenden Zwingen befestigt und so lange korrigiert wurde, bis es optimal passte. Und danach wurde dann eben die in sich verwundene und gebogene Eichenleiste gearbeitet. Anschließend wurde die Leistenform der anderen Seite festgelegt, mit demselben Mall, nur spiegelverkehrt angesetzt und in die andere Richtung verdreht.
Die Schlingerleisten des Hecks waren wohl Dreiteiler und die seitlichen aus einem Stück, wie ich einmal vermuten möchte... :-)
Ich werde für die Unterkonstruktion noch einen Randabschluss anlegen, also einen oberen, unteren sowie einen vorderen Abschluss. Die Strebe die die beiden Schlingerleisten an der Vorderkante verbindet, ist temporär als Stütze und wird später wieder entfernt werden.