Auch noch heute werden im Englischen die Schiffstoiletten "Heads" genannt. Mit dem Wind von achtern und der automatischen Wasserspülung von vorne, bestimmt ein angenehmes Plätzche um sein Gschäftle zu verrichten.
Dass es hier - zumindest bei gutem Wetter - eng zuging, lässt natürlich ein Blick auf ein Modell erst so richtig erahnen, wenn es bevölkert wird. Und es passen tatsächlich zwei Ables auf den Stuhl und es ist nett kuschelich ;-)
Und im Sommer sogar mit Schattenspender, der Mariners Walk.
Also da ergibt sich bei mir folgender Gedankenansatz: rein rechnerisch bei 800 Mann Mannschaften und 6 Toiletten kommen wir auf folgenden möglichen optimalen Durchsatz:
800 Mannschaft / 6 Sitzplätze ergibt 133 Mann / Platz
Im optimierten 24 Stunden Rundumbetrieb kommen wir zu folgender Berechnungsgrundlage:
24 Stunden = 1440 Minuten
1440 Minuten / 133 Mann = 10,5 Minuten / Mann pro Tag bei 24 Stundenbetrieb und optimierter Vollbelegung. Dies setzt aber voraus, dass der Nächste immer schon dasteht, damit der Sitz nicht kalt wird.
Nimmt man im Gegenzug an, dass einige Tages- bzw. Nachtzeiten nicht so gut besucht waren sowohl was die Frequenz wie die Belegung angeht, so bleiben dem Seemann viel weniger effektive Zeit für die tägliche Erleichterung. Zieht man dazu noch in Betracht, dass Verstopfung ein scheinbar weit verbreitetes Übel war, und dieses bekanntermaßen eine höhere Verweildauer produziert, so kann eigentlich postuliert werden, dass da vorne - vorausgesetzt Tageszeit, Wetter und Dienstplan es zulassen - ein recht reger Andrang geherrscht haben muss.
In dieser Rechnung sind nur die Geschäfte "groß" in Konsideration gezogen worden. Für die Geschäfte "klein" wäre meines Erachtens auch noch ein Mal ein ganzer Schwung Seeleute im Vorgange des sich Erleichterns dort auf der Gallion anzusiedeln, so weit diese nicht in irgendwelchen leeseitigen Rüstbrettern hingen - one Hand to the ship and one for yourself ;-)
Folgende Überlegung und Berechnung kann den Vergnügungsfaktor dieser Sanitärlösung belegen:
Kurze Recherche ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit:
Niedersächsische Versammlungsstättenverordnung (NVStättVO) *) Vom 8.11.2004 (Nds.GVBl. Nr.32/2004 S.426), geändert durch VO v. 22.4.2005 (Nds.GVBl. Nr.9) schreibt folgende Minimalausstattung für Veranstaltungen vor: 800 Besucher nach Formel 800:100 x 0,8 = 7 Herrentoilettensitzausführung und 800:100 x 1,2 = 10 Urinale (immer aufgerundet)
Dgegen schreibt die Arbeitsstätten-Richtlinie, ArbStätt 5.037.1, vom 26. Juni 1976 (ArbSch. 9/1976 S. 322) Folgendes vor: bis 250 Beschäftigte 10 Toiletten, 10 Bedürfnisstände, das heißt für 800 wären dies entsprechend mehr, wahrscheinlich würden über 30 Sitzplätze benötigt.
Das bringt uns zu folgender Schlussfolgerung in Anbetracht der 6 zur Verfügung stehenden Sitzplätze im Bug der Vic: Nur als Veranstaltung könnte im Umkehrschluss die Anzahl der Toilettenplätze auf dem Schiff in der per Gesetz vorgegebene Menge als genügend angesehen werden. Als Arbeitsstätte wäre mindestens die dreifache Menge an Plätzen von Nöten.
Es handelt sich also bei den Schiffen wie der Vic damit ganz klar um Vergnügungsveranstaltungen!
Nicht beachtet sind hier natürlich die Rundhäuser am Bug ...
... die Heckgallerien für die Offiziere ...
... und die Unmengen Eimer, die für schlechtes Wetter herhalten mussten - Bucket and chuck-it :-) Auf den Zeichnungen der Holländer in 17 Jahrhundert sind an den Heckgallerien häufig Quasteln zu sehen, die evtl. zum Ausputzen gedient haben könnten, hier ein Bild von Pollux
Für die Eminenzen gab es dann noch ein Stuhlmöbel mit eingebautem Potty in den großen Kabinen, so wie es heute noch auf der Vic ausgestellt ist.
Um die ganze Chose am Bug hinweg von elementaren Teilen zu führen, gab es die Köttelrutschen und Rohre:
Hier die Rutsche an der Vic
Die Rohre an der Queen Charlotte in der Zeichnung von Loutherbourg PS: Evtl nur ein Hafen/in Ordinairy-Feature?
Und an einem französischen Museumsmodell (Herkunft?)
Auch in den Großrüsten war bei den Engländern eine Weile eine kleine Kabine zu finden, von der ich keine andere Verwendung kennen würde:
Gut, dass auch darüber `mal geschrieben wird, denn immerhin gehörten diese Örtchen zu den "wichtigen" Teilen der Schiffskonstruktion. Komischerweise trauen wir uns leider nicht, über die Bedürfnisse dieser Zeit realistisch zu berichten. Deshalb: Danke dafi. Was natürlich in Deine Hygieneberechnungen nicht eingeht, sind die auf Modellen, Zeichnungen und Beschreibungen meist schamvoll weggelassenen "side-shelves" (eine "Batterie" von Sitzen auf den Rüsten), die rasch an- und abgebaut werden konnten und auch im 18. Jhdt. offenbar noch verwendet wurden. Insofern war die Möglichkeit des Abtritts quantitativ durchaus vorhanden. Über die qualitativen Umgebungsvarianten habe ich, Gott sei Dank, keine Erfahrung. Ich kann sie mir jedoch lebhaft vorstellen.
Hier ein lange gesuchter Beleg für die Entsorgungsrohre der Überhängenden Seats of Ease
HMS Winchelsea (1764)
dafi
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HMS Winchelsea seatwin_17
gerade habe ich die Arbeit über die Hygiene an Bord der Schiffe "unserer Zeit" durchgeackert! Das mutet ja an wie eine ganze Enzyclopedie über dieses Thema! Äußerst ausführlich!
Unsereiner, besonders an Land, geht einfach "auf's Örtchen" und dann vergisst man es wieder. Das war scheinbar in den frühen Zeiten eine Kunst, ich nenne nur: overhanging ...
DANK E für diese Arbeit, die Sie sich allein damit gemacht haben!!!
Weil hier das Thema kurz aufkam (vergleiche Posting #190 @Gorg - Klick) - war es nicht die Aufgabe des zukünftigen Kapitäns für die angemessene Bemalung seines Schiffs nach seinen Dünken zu sorgen, sondern die ganze Entscheidungsbefugnis lag eine Etage höher und ging über alles bisher erwartete hinaus... gez. Sir Pulteney Malcolm, KCB (Vice-Admiral of the Blue)
Die dazugehörige Beschreibung dieser wundervollen Darstellung: Scale: 1:24. Plan showing an elevation, plan, and section of part of the port bow for a 46 gun Fouth Rate Frigate, illustrating the configuration of the heads, urinals and wash trunk, as proposed by Sir Pulteney Malcolm, KCB [Vice-Admiral of the Blue, died 1838 as Admiral of the Blue]. Signed James Nolloth [Master Shipwright, Portsmouth Dockyard, 1823-1835].
"Ich gibs so gut / als ichs errang / Drumb ist mir vor keim Momo bang. Wer bessers waist / und kans erweisen / Der gebs herfür: Ich will ihn preisen." (Joseph Furttenbach 1591-1667)
Zitat von DerDa im Beitrag #13Die Namen "Sudden Death", "Jumping Billy", "Belcher" etc. für Kanonen stammen allerdings nicht aus den Hornblower Romanen, sonder von O´Brians "Surprise".
Stimmt Uwe, danke für die Korrektur, habe ich am Freitag erst doch wieder "Master und Commander" angeschaut. Oh apropos: Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass ausgerechnet bei der frostigen Umseglung von Kap Horn in einer Szene ein bedauernswerter Matrose in der vereisten Galion mit der Buxe um die Hacken auf dem "Seat of ease" sitzend zu sehen ist?
bis denne Willi
Es ist nicht alles falsch, was man nicht versteht.
Ich hätt da dann doch lieber den Eimer genommen, der für solche Geschäfte zur Verfügung stand. Bei der Führung der Vic meinte der fesche Leutnant zum Thema nur: "Bucket and chuck it" (in den Eimer und weg damit)
Was denn? Nur sechs Sitzplätze am Bug der Victory? Die kleine 6th rate Unité / Surprise hat ja laut Planzeichnungen schon acht. Compressed_0261.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Da kann man sich vorstellen, dass der Dienst auf einer Fregatte nicht nur wegen der größeren Chance auf Prisengeld beliebter war ...
Lange habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie an meiner Fregatte binnenbords der Bereich ausgesehen haben könnte, in dem sich normalerweise die Back befindet. Indizien für ein Backdeck habe ich weder in Chapmans Zeichnung gefunden, noch scheint es von der zur Verfügung stehenden Schanzkleidhöhe möglich gewesen zu sein. Dann aber fand ich Bilder dieser Yacht:
large4.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) (Quelle: Sammlung der Königlichen Museen Greenwich) Erscheinungsbild, Größe und (wichtig!) die Position des vorderen Mastes stimmen weitgehend mit dem Konzept von Chapman's Zeichnung überein und so wurde diese Yacht eine Art Leitfaden für die Ausrüstung der Back, aber auch des übrigen Decks.
101_3020.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Bei genauerer Betrachtung des ersten Bildes entdeckte ich dann ein Detail, das ich fast vergessen hätte, nun aber unbedingt darstellen wollte: das Pissdale. Recherchen dazu führten zu dieser Abbildung: Link
Und so sieht das Ding am Modell aus. Es hat eine, für ein Schiffchen wie dieses, seeeeehr komfortable Größe und im Gegensatz zu dem Original eine recht scharfe Kante. Bei Seegang ist also Vorsicht geboten, die möglichen Verletzungen sind von der Art, wie sie Männer wohl am meisten fürchten... Na ja, Löten gehört eben nicht unbedingt zu meinen Stärken und das Ding so hinzubekommen, wie hier zu sehen, war fummelig genug.
101_3017.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
So viel für heute...
Willi
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bis denne Willi
Es ist nicht alles falsch, was man nicht versteht.