zunächst einmal danke für Deinen interessanten Konstruktionsbericht. Dazu meine eher laienhafte Frage: Du beziehst Dich häufig auf Anthony Deane´s Doctrine von 1670. Heute weiss man, dass er die Berechnung der "Rising und Narrowing Lines" zwar ähnlich wie Baker (Kurvenradien) beschrieben hat, jedoch in Realität die Pythagorasformeln verwendete, die er lediglich aufrundete. Zudem entwarf er in erster Linie Kriegsschiffe, die auf Grund ihrer Kanonenlast andere Konstruktionsüberlegungen notwendig machten. Verwertbare Pläne sind wohl erst im letzten Drittel de Jahrhunderts nachweisbar. Gibt es heute noch Hinweise über die essentiellen Unterschiede zwischen der Bauart von Handelsschiffen und Kriegsschiffen dieser frühen Epoche?
Zitat von achilles im Beitrag #46Gibt es heute noch Hinweise über die essentiellen Unterschiede zwischen der Bauart von Handelsschiffen und Kriegsschiffen dieser frühen Epoche?
Hallo Volker,
du hast natürlich Recht, dass sich sowohl Deane als auch der Unbekannte primär mit Kriegsschiffen beschäftigten und man Rückschlüsse auf Handelsschiffe mit Vorsicht genießen muss. Zwischen den Zeilen findet man zwar einige wenige Hinweise, aber das reicht zugegebenermaßen nicht für eine vollständige Rekonstruktion wie z.B der Lennox. Das Treatise ist da noch ergiebiger, zudem war 1620 der Unterschied zwischen Kriegs- und Handelsschiff wohl noch nicht so ausgeprägt. Bei meinem Entwurf nutze ich Deane hauptsächlich, um generelle Trends der Entwicklung von Anfang bis zur Mitte des 17ten Jahrhunderts abzuleiten. Ich bin ja ziemlich in der Mitte zwischen Treatise und Deane, und entsprechend modifizierte ich dann bestimmte Maße (z.B. des Heckbalkens) und Linien. Meine allgemeine Annahme ist, dass Handelsschiffe um 1640-1650 wie kleinere, fülligere Kriegsschiffe aussahen. Ein bisschen Tarnung war da sicher gewollt, um einen möglichen Angreifer in die Irre zu führen. Im Rigging-Buch von R.C. Anderson habe ich ein schönes Bild eines "english merchantman of 1673" gesehen, was für mich den Trend bestätigt: Geschmückt wie ein Kriegsschiff, Bewaffnung eher zur Abwehr (keine Jagdgeschütze). Ansonsten wird die Konstruktion sehr ähnlich, aber tendenziell leichter und weniger standardisiert gewesen sein. Ich berufe mich dabei auch noch auf zwei Wrackfunde (Gresham und Warwick), die sind zwar älter aber zeigen meiner Meinung nach auch die große Ähnlichkeit damaliger bewaffneter Handelsschiffe mit einem "echten" Kriegsschiff.
Ich habe außerdem immer wieder gelesen, dass die großen Namen wie Pett, Shish und Deane neben den Prestigeprojekten auch Handelsschiff entwarfen und damit gutes Geld verdienten. Sie werden dafür sicher keine völlig andere Technologie eingesetzt haben...
Grüße, Torsten
PS: schöner Becher. Hatte leider nie eine Duc, war nur mal kurz davor eine 748 zu kaufen. War mir dann damals doch zu teuer...
Das Bild aus dem Anderson gleicht nahezu meiner Pinas, die ich nach Hoving ( dutch merchantships) baue. Vielleicht bekommst Du ja bei Hoving a. a.O. Noch weitere Informationen zu deinem Projekt. Mir scheint es, daß die Handelsschiffe der Engländer und der Holländer zu der Zeit doch recht ähnlich gebaut wurden.
Nach Hoving wurden die holländischen Handelsschiffe sozusagen in Serie gefertigt. Schiffskörper und Takelage wurden bei Auftragserteilung nur ggf. In etwas unterschiedlichen Größen geordert, und von der Werft dann nach Standart gebaut. Nur Deko an Bug und Heck wurden vom Reeder geplant und gesondert beauftragt. Vielleicht war das Ganze auch der Grund, warum so ein Handelsschiff in sechs bis acht Monaten, von den holländischen Werften, fahrbereit abgeliefert werden konnte..
Gruß
Angarvater
P.S. M.E. War die Beflaggung weniger eine Tarnung als Kampfschiff, sonder stellte klar wer da segelte. Zumindest in den europäischen Gewässern war es nicht ratsam sich mit den holländischen Kompanien anzulegen. Das zog Handelssanktionen durch die vereinigten Handelskompanien gegen den den Kaperbrief ausstellenden Fürsten nach sich. Selbst PhillipII von Spanien mußte nachgeben, nachdem er Holländer an die Kette gelegt hatte, und die Kompanien ein Embargo ankündigten.
To the optimist the glas is half full. To the pessimist the Glas is half empty. To the ingenieur it is twice. As big as it needs to be.
Auf der Helling „Witsen“, holländisches Pinassschiff,1671. Nach Plänen von Ab Hoving
Zitat von Angarvater im Beitrag #48P.S. M.E. War die Beflaggung weniger eine Tarnung als Kampfschiff, sonder stellte klar wer da segelte. Zumindest in den europäischen Gewässern war es nicht ratsam sich mit den holländischen Kompanien anzulegen. Das zog Handelssanktionen durch die vereinigten Handelskompanien gegen den den Kaperbrief ausstellenden Fürsten nach sich. Selbst PhillipII von Spanien mußte nachgeben, nachdem er Holländer an die Kette gelegt hatte, und die Kompanien ein Embargo ankündigten.
Eine interessante Perspektive, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich muss aber dazu sagen, dass ich mit "geschmückt" nicht die Flaggen, sondern den Zierrat am Heck meinte. Da scheinen die reichen Privatiers durchaus ordentlich aufgefahren zu haben (🧐 komische Grammatik, aber wie ich mich kenne stimmt's). Deswegen habe ich mich letzte Woche mal als Künstler versucht (siehe nächster Beitrag)
Mittlerweile habe ich meinen Spantenriss soweit angepasst, dass ich denke, damit irgendwann in eine Bauphase gehen zu können. Eine Feinabstimmung muss dann auf der Werft passieren.
Um den Entwurf vor allem am Heck abzuschließen habe ich mich an diversen van der Velde Zeichnungen orientiert. Die von mir gewählte Epoche ist geprägt vom Übergang von eher moderat geschmückten Hecks mit offenen Galerien zu den barocken Kunstwerken der Restoration. Schiffe wie die Constant Reformation, die Lion oder die Leopard zeigen zudem die Kombination des barocken Hecks mit dem langen, niedrigen Bug älterer Schiffe wie der Royal Prince oder des SotS. So will ich es auch haben. Zunächst habe ich das Heck gezeichnet: Die Ornamentik stammt schon aus der Zeit des Commonwealth. Damit bin ich zeitlich zwar schon nach 1649 angelangt, aber ich behaupte jetzt mal, dass mein Schiff, gebaut im Jahr 1640, nach dem Ausrufen der Republik neu dekoriert wurde. An der Zeichnung sieht man auch die von mir gewählte Anordnung der großen Berghölzer. Damit begebe ich mich allerdings etwas auf dünnes Eis. Deane würde den "lower wale" mittschiffs in die Wasserlinie legen und den nächsten wale darüber in den Bereich der größten Breite. Um den Anschluss des lower wale an den Heckbalken zu bekommen muss man mit dem "hanging" der wales spielen. Das fand ich immer etwas willkürlich und habe daher meine Ingenieurs-Sicht der Strukturmechanik angewendet. Bei mir liegt das untere Bergholz mittig über der rising line der größten Breite und damit genau auf der Höhe des inneren Balkwegers (Englisch : "clamp"). Am Heck trifft es somit nicht den Heckbalken, dafür aber den Balken unter den heckseitigen Geschützpforten. Der nächsthöhere wale trifft dann den Heckbalken. Meine Deckbalken des Hauptdecks liegen mit ihrer Unterkante alle auf der "breadth rising line" und werden somit optimal vom außenliegenden lower wale unterstützt. Die Deckbalken haben alle denselben Radius. Durch die abnehmende Schiffsbreite ist der Deckssprung nach vorne und hinten etwas flacher als die rising line, aber steigt immer noch deutlich steiler an als bei Deane. Aus Festigkeitssicht sollte das meiner Meinung nach die beste Konfiguration sein. In der Seitenansicht ergibt sich zudem ein für mich gefälliges Bild. Was meint ihr?
Hallo Torsten, Thema mit Berghölzern ist ja wirklich dünnes Eis! Es gibt keine detaillierten Informationen darüber, wie dies genau gemacht wurde Denke, definitiv verläuft Bergholz mit Plusminus an breadth rising line, aber es ist wichtig, die Stärke der Deckbalken und ihre Verjüngung an den Enden sowie die Breite der Berghölzer zu beachten.
Damit hier keiner denkt ich liege auf der faulen Haut: Mittlerweile habe ich das erste Mal eine Gesamtansicht inkl. voller Takelage gezeichnet. Das Schiff sieht nun so aus wie ich es mir vorgestellt habe:
Ich habe mich zudem in den letzten Wochen vor allem mit der Führung und Dimensionierung des Tauwerks beschäftigt. Dabei habe ich aus Spaß an der Freude die Regeln meiner beiden Hauptquellen Anderson und Lee nebeneinandergestellt. Im Detail gibt es ein paar Diskrepanzen, aber meist sind die Herren nahe beieinander. Ich komme später darauf zurück.
Zunächst würde ich aber gerne eure sachliche Kritik am jetzigen Entwurf hören. Das Bild ist leider etwas dreckig aufgrund vieler Korrekturen - das ist halt der Nachteil beim klassischen Zeichenstift. Ich werde es demnächst nochmal ins Reine übertragen.
Ich würde die Hecklaterne in Frage stellen wollen. Hatte ein Handelsschiff zu der Zeit sowas? Ferner würde ich die Seitentaschen achtern auf historische Belegbarkeit abklopfen. Soll das dreidiemsional, erkerartig ausgeformt sein? Mit soviel Zierrat?
Ich würde die Hecklaterne in Frage stellen wollen. Hatte ein Handelsschiff zu der Zeit sowas? Ferner würde ich die Seitentaschen achtern auf historische Belegbarkeit abklopfen. Soll das dreidiemsional, erkerartig ausgeformt sein? Mit soviel Zierrat?
Hallo Klaus,
25 Jahre später zeigt zumindest das Bild aus dem Anderson (siehe mein Beitrag #47), dass ein Kauffahrer so geschmückt seien konnte. Ich denke es gab alle Spielarten, je nach Geldbeutel und Geltungssucht des Auftraggebers. Die Heckgalerie soll eine Teilüberdachung des Balkons darstellen - hinten kann der Kapitän abknöpfen, in den vorderen offenen Teil kommen die Offiziere durch die seitliche Tür. Ich gebe dir Recht, dass mein Entwurf vielleicht etwas zu sehr geschmückt ist, aber für unmöglich halte ich es nicht. Deswegen heißt das Schiff ja auch "Maybe"😉
Dein Entwurf sieht schon richtig gut aus. Was mich ein wenig "stört" ist die Ausführung der Reling. Wäre es denkbar, die Oberkante der einzelnen Bereiche etwas weicher - gefälliger - auszuführen?
Wäre es denkbar, die Oberkante der einzelnen Bereiche etwas weicher - gefälliger - auszuführen?
Hallo Werner, ich vermute du meinst mit "weicher", die Reling schräger zu machen um den Deckssprung zu "verschleifen". Das habe ich probiert, kam aber zu keiner gefälligen Lösung. Mir erscheint, dass das bei kleinen, kurzen Schiffen schwieriger ist, weil die Relingsllinie dann viel steiler wird als bei langen Schiffen (der Deckssprung bleibt ja gleich). Irgendwie sah das Schiff dann wieder wie eine ältere Galeone aus; das gefiel mir nicht. Außerdem fand ich es immer gefährlich, wenn die Reling des oberen Decks am Sprung sehr niedrig wird. Wo bleibt denn da der Arbeitsschutz? So richtig 100% glücklich bin ich damit zugegebenermaßen auch noch nicht. Verbesserungsvorschläge nehme ich gerne... Grüße Torsten
Hallo Torsten, mit der englischen "Formensprache" bin ich zwar nicht so vertraut, aber die Stufen in der Reling sehen für mein Auge schon "englisch" aus. Könnte die erste beim Großmast beginnen? Unter Umständen wäre womöglich hinter den Wanten noch Raum für eine zusätzliche kleine Stufe um die Sprünge etwas zu mildern? Nur mal als Überlegung. Gruß bela