In diesem Ordner möchte ich ein kleines englisches Handelsschiff beschreiben, welches eine Zeitgenossin der berühmten Sovereign of the Seas gewesen sein könnte. "Könnte" deshalb, weil ich kein reales Schiff im Sinn habe, sondern nur auf Basis der einschlägigen zeitgenössischen Schriften und archäologischer Funde einen plausiblen Bauplan für mein Modellbauprojekt erarbeiten möchte. Grundlage der Recherche sind: 1) das anonyme treatise von 1625 in der Bearbeitung von Peter Kirsch 2) Harriot's manuscript on shipbuilding and rigging, ca. 1608-2610, edited by Jon Pepper 3) Mainwaring's "The seaman's dictionary", edited by G.E. Manwaring 4) R.C. Anderson's "Rigging of ships in the days of the spritsail topmast (1927) 5) Brian Lavery: "The colonial merchantman Susan Constant 1605" 6) Alistair Roach, "The Ashmolean ship model", The Mariner's Mirror 93:2, 132-142 7) Jens Auer and Thijs J. Maarlefeld, "The Gresham Ship Project", Volume 1: Excavation and hull studies, BAR British Series 602, 2014 8) Piotr Bojakowski et al., "Warwick: report on the excavation of an early 17th century English shipwreck in Castle Harbour, Bermuda", The international Journal of Nautical Archeology, (2017) 46.2, 284-302 9) Deane's Doctrine of Naval Architecture 1670, edited and introduced by Brian Lavery
Dazu kommt noch der Blick über den Tellerrand zu den holländischen Kollegen und eine Vielzahl von allgemeineren Büchern wie z.B von W. z. Mondfeld. Last but not least (natürlich) noch der reiche Fundus in diesem Forum, von dem ich mir u.a. kritische Bewertung erhoffe. Allen voran sind auf dem speziellen Fachgebiet der Klaus (@Model Mariner) und @eugen.t zu nennen. Um nicht gar zu sehr ihre Arbeiten aus der Zeit 1600-1620 nachzuahmen bin ich etwa 20 Jahre in die damalige Zukunft ausgewichen. Das macht zwar keinen riesigen Unterschied, ermöglicht mir aber ein bisschen zwischen der anonymen Abhandlung und Deane hin- und herzuspringen.
eine interessante Arbeit sehe ich da. Habe aber wenigstens eine Frage zum Gangspill. Gibt es für die Lagerung der Spillstange Belege? Oder die Absenkung des hinteren Decks. War es im Übergang der Stufe offen?
eine interessante Arbeit sehe ich da. Habe aber wenigstens eine Frage zum Gangspill. Gibt es für die Lagerung der Spillstange Belege? Oder die Absenkung des hinteren Decks. War es im Übergang der Stufe offen?
Gruß Werner
Hallo Werner, ich würde deine Frage zum Spill gerne verschieben, damit ich der Reihe nach den Entwurf beschreiben kann. Hab' daher ein bisschen Geduld, dann reden wir drüber... Du hast mich aber schon auf einen Fehler aufmerksam gemacht: an der Stufe zur Konstabelkammer fehlt tatsächlich noch ein Schott. In der letzten Version war es noch drin... 🤔 Grüße Torsten
Aus den zeitgenössischen Schriften kann man zwischen den Zeilen entnehmen, dass die beschriebenen Konstruktionsregeln bei weitem nicht verbindlich waren, sondern je nach Werft, Verwendung und Kundenwünschen variiert wurden. Deswegen habe ich gar nicht erst versucht, mich exakt an die Formeln zu halten - mein Schiff "Maybe" ist daher rein fiktiv, aber (hoffentlich) trotzdem zeitgemäß. Der Maßstab stand mit 1/48 von Anfang an fest, das ist für ein englisches Schiff ja quasi Pflicht. Bzgl. der Größe habe ich aber lange überlegt: es sollte nicht zu groß werden (Platz!), gleichzeitig aber groß genug sein, um alle Funktionselemente (Spill, Pumpen, Luken, Kanonen etc) so unterzubringen, dass man sie vernünftig benutzen könnte ohne z.B. erst die Kanonen zu Seite zu räumen. So kam ich bei einer Kiellänge von 58ft (Fuss) heraus. Die Breite wählte ich mit 24ft verhältnismäßig groß. Für 1625 durchaus im Rahmen, aber laut Deane in 1670 selbst für ein Handelsschiff zu groß. Das gleiche gilt für die Tiefe (depth in hold) von 11ft 6in. Aus den Dimensionen resultiert eine Tonnage von 160t. Eine kleine Besonderheit habe ich mir beim Vordersteven geleistet: der Radius entspricht mit 3/4 der Breite den Regeln, sein Mittelpunkt steht jedoch 2ft zurückversetzt vor dem Ende des Kiels, so dass dort ein kleiner Knick entsteht (so gesehen am Gresham- Wrack). Den Achtersteven habe ich mit 18° gesetzt, das ist für 1625 an der untersten Grenze, aber noch weit weg von den 13° bei Deane. Vielleicht gehe ich da noch auf 16°. Flursente und Herzsente sind weitestgehend nach 1625 berechnet. Die Flursente liegt am Vordersteven (gripe) für ein Handelsschiff relativ hoch, aber noch nicht so hoch wie bei einem Kriegsschiff. Auch hier stand wieder das Gresham-Wrack Pate - dessen gut erhaltener Bug ist doch ziemlich scharf geschnitten. Der Entwurf des Hauptspantes ist recht unspektakulär, das habt ihr hier im Forum schon etliche Male gesehen. (Ich mache meine Berechnungen übrigens mit Excel, damit kann ich persönlich am effektivsten umgehen)
Zitat von eugen.t im Beitrag #7Torsten, könntest du bitte deinen Lösungsweg zu Senten beschreiben?
Ich versuche es:
Erstmal habe ich natürlich die Endpunkte der beiden Senten festgelegt: 1) Herzsente: Beginnt hinten am Heckbalken; Länge Heckbalken 10/19 der größten Breite, in einer Höhe von 100/75 der Tiefe am Hauptspant. Herzsente trifft den Vordersteven in einer Höhe von 9/8 der Tiefe am Hauptspant. 2) Flursente: Beginnt am Achtersteven in einer Höhe von 2/3 der Tiefe am Hauptspant und endet bei mir am Vordersteven bei 7/10 der hinteren Höhe, also etwas weniger als das vom unbekannten Verfasser angebene Optimum von 8,55/10.
Die Verläufe habe ich wie gesagt mit Excel für meine Modellmaße gerechnet (1/48). Dazu habe ich Formeln mit entsprechenden Koeffizienten benutzt, die dann natürlich auch nur für diesen Maßstab gelten. Ich betrachte das ganze aber eher als Fingerübung. Ehrlich gesagt finde ich, dass der unbekannte Autor eher mit seinen mathematischen Fähigkeiten angeben wollte - Kreis, Ellipse, quadratisch, kubisch, quartisch, alles dabei ... Ich habe es zwar so umgesetzt, aber ich erwarte, dass ich am Modell da noch viel anpassen muss. Wahrscheinlich genauso wie damals auf der Werft... 😄 Für die Berechnung habe ich die x-Achse auf den Kiel gesetzt, mit dem Hauptspant bei Null. Das Heck liegt dann bei negativen x-Werten, der Bug bei positiven. a) Anstieg Flursente (lower rising line): nach hinten y=-2,71e-6*x^3; nach vorne 4,84e-6*x^3 b) Anstieg Herzsente (breadth rising line): Kreisgleichung y=Wurzel(r^2-(x-b)^2) +c; in meinem Fall ist r=1965,8, b=-30,76 (Offset des Kreises Richtung Vordersteven), und C= 2038. c) Draufsicht Flursente ist nach hinten eine Ellipse und nach vorne quadratisch (y=a*x^2) d) Draufsicht Herzsente ist nach hinten kubisch (y=a*x^3) und nach vorne quartisch (y=a*x^4). Nach vorne schlägt der unbekannte Autor einen zusätzlichen Offset Richtung Bug vor, um diesen völliger zu machen. Das wollte ich nicht, mit dem Argument, dass mein Handelsschiff keine "Jagdgeschütze" nach vorne braucht. Lieber etwas schneller und dazu Heckgeschütze für die Flucht 😎
Ich hoffe das hilft dir, Eugen (@eugen.t ). Ob ich es selber richtig verstanden habe weiß ich aber ehrlich gesagt auch nicht.
danke für die Ausführungen. Man kann immer wieder staunen, was der annonyme Autor von 1620 mit uns macht, oder besser, wie er uns auch heute noch verwirrt. Meine persönliche Meinung dazu ist recht simpel. Stellen wir uns vor, dass es in England einige Hundert oder gar 1000 Schiffbauer und mehr gegeben hat. Dann stelle ich mir vor, welchen Bildungsgrad diese Menschen hatten. Vergleiche ich das mit den Niederlanden, konnten viele der niederländischen Schiffbauer nur rudimentär lesen und schreiben. Die vielen historischen Dokumente lassen dieses Schluss zu. In den Niederlanden finden wir im Handelsschiffbau immer wieder Verträge, die ein Notar verfasst hatte. Der Schiffbauer unterschrieb dann nicht mit seinem Namen, sondern mit seiner Hausmarke. Einem Notar vertraute man also mehr als den berühmten Vertrag ohne schriftlicher Niederschrift.
Ich könnte mir das aber auch für England vorstellen. Ob es dazu Untersuchungen gibt, kann ich leider nicht sagen. Sollte es aber ähnlich wie in den Niederlanden zugegangen sein, kann ich mir sehr schwer vorstellen, das ein "normaler" Schiffbauer diese Berechnungen ausführen konnte. Er wird einfachere Vorgehensweisen gehabt haben.
Obwohl Baker ja auch Mathematiker war, hat er seine Entwürfe aus meiner Sicht einfacher gehalten. Ein schwieriges Thema, aber spannend.
Nachfolgend die Zeichnung des "-2"ten Spants (der Hauptspant ist die Null). Die -2 habe ich genommen, weil dieser Spant eine Geschützpforte beinhaltet. Der geometrische Unterschied zum Hauptspant ist sowieso nur minimal. Die Konstruktionsregeln des treatise sind ja hier hinreichend bekannt. Da ich bekanntlich mit einem Auge zu Deane schiele habe ich die berechneten Radien nach treatise und nach Deane mal gegenüber gestellt:
Interessanterweise sind die Zahlen vom Kiel bis zur Linie der größten Breite sehr ähnlich, mit tendenziell etwas kleineren Radien bei Deane. Nur im Bereich der toptimber geht Deane neue Wege. Während das treatise dort mit einem großen umgekehrten Radius arbeitet, nimmt Deane etwa den halben Radius erst nach innen und erst dann nach außen gekrümmt (also ein großes "S"). Ich bin zwar bei den Regeln des treatise geblieben, habe die Radien aber etwas abgerundet, um dem Trend Richtung Deane zu folgen. Außerdem habe ich mit der Annäherung an Deane auch eine Ausrede, die Radien Richtung Bug und Heck zu reduzieren, das hat der alte Geheimniskrämer ja auch gemacht ohne es zu erwähnen 🤫
Der abgebildete Geschütztyp entspricht übrigens der als PC1 bezeichneten Falcon aus dem Gresham-Wrack, mit einer Länge von 2 Metern (6,5 ft). Das erscheint mir noch praktikabel für die Schiffsbreite von 24ft; man sieht, dass auch in der verzurrten Position noch genug Platz in der Schiffsmitte bleibt, um darum herum laufen zu können. Auch haben die Geschütze beim Zurückrennen nach dem Schuss genügend Platz. Bezüglich der Rückholtalje bin ich mir aber unsicher: Ösen in der Schiffsmitte sind wohl für das erste Quartal des 17ten Jahrhunderts nicht belegt (die Vasa hat z. B. keine), aber ich hoffe, dass 1640-1650 die Zeit dafür gekommen war. Zur Zahl der Geschütze und der Anordnung der Pforten längs des Schiffes will ich im nächsten Kapitel etwas sagen.
Frage an die Wissenden: Wurden bei diesen frühen Handelsschiffen die Geschütze mit der Mündung oben verzurrt oder noch einfach flach an die Wand festgemacht?
Die Rückholtaljen kamen nach meiner Erinnerung später auf. Siehe Arming and Fitting bzw. Construction and Fitting.
Ich rechne mich mich mal bescheide nicht zu den Wissenden
Von Nachbauten sind mir Fotos bekannt, auf denen die Geschütze in Schiffslängsrichtung an die Bordwand gedreht sind. Falls diese Fotos relevant sein sollten, würde ich mich auf die Suche danach begeben...
ja, das ist ein tolles Projekt hier! Sind die Zeichnung mit dem Bleistift entstanden?
Zitat von dafi im Beitrag #11 Die Rückholtaljen kamen nach meiner Erinnerung später auf. Siehe Arming and Fitting bzw. Construction and Fitting.
Das Buch Arming and Fitting (Lavery?) hab ich leider nicht. In der AotS zur Sovereign zeigt McKay solche Takel, aber mir ist leider bewusst dass dieser Autor es nicht immer so genau nimmt mit der Authentizität...
Zitat von Klabauter im Beitrag #12 Von Nachbauten sind mir Fotos bekannt, auf denen die Geschütze in Schiffslängsrichtung an die Bordwand gedreht sind. Falls diese Fotos relevant sein sollten, würde ich mich auf die Suche danach begeben...
ja, das ist ein tolles Projekt hier! Sind die Zeichnung mit dem Bleistift entstanden?
Klaus
Falls du Bilder hast würde ich die gerne sehen. Ich vermute, dass du die Susan Constant und die Mayflower Ii meinst, oder? Beide sind ja ein Vierteljahrhundert älter, vielleicht hat sich da was geändert bis zur Mitte des Jahrhunderts. Ich könnte mir auch vorstellen, dass beide Varianten in Gebrauch waren; je nachdem ob man damit rechnete, schnell einsatzfähig sein zu müssen...
Ja, ich zeichne mit Bleistift - den kleinen Spleen hab` ich mir gegönnt. Passt irgendwie besser zum Hobby, außerdem hocke ich schon auf Arbeit zu viel vor dem Rechner...
ich habe das Bild wiedergefunden. Es ging um den Nachbau der HALVE MAAN in den Niederlanden. Richtig, das Schiff ist nicht "Deine Zeit" und in wie weit die Geschützzurrung historisch korrekt ist, kann ich nicht sagen. Es sieht jedenfalls pragmatisch aus.
Das Foto ist nicht von mir. Ich stelle es kurz zum Zeigen ein und lösche es bald wieder.