Um gleich jedwelche Anwürfe auszuschließen: Wir sind hier in einem seriösen Forum für historischen Schiffsmodellbau und Geschichte, nicht in einem Apothekerblättchen! Der von mir untersuchte Billy Boy war aus Holz oder Eisen, nicht aus Latex.
Das Fahrzeug entstand um 1815 in der Zeit der Industrialisierung. Es gab ca. 65 solcher Küstensegler. Nach 1915 wurden keine mehr gebaut. Es haben sich 2 - 3 dieser Rümpfe (Stahl) erhalten. Die Schiffe sind in Privatbesitz.
Zur Geschichte England war das Pionierland der industriellen Revolution. Die Geburtsstunde schlug mit der Erfindung der Spinning Jenny, einer mechanischen Spinnmaschine. Diese Maschine revolutionierte die Textilherstellung in den Midlands. Die Kohleförderung und die Eisen-/Stahlherstellung ließen Yorkshire zum Zentrum der Industrialisierung werden. Wichtige technische Entwicklungen wurden getätigt, der Ausbau der Wasserwege/Kanäle und Häfen schaffte die nötige Infrastruktur. Die Dominanz Englands wurde durch den großen Binnenmarkt, die Seeherrschaft, den Besitz von Kolonien, Bevölkerungswachstum, Rechtssicherheit und Freihandel (ab 1849) gesichert. Kohle, Textilien, Eisen- und Stahlwaren wurden in andere Landesteile verbracht oder exportiert. Dafür brauchte man Häfen und Kanäle. Hull, eigentlich Kingston upon Hull, war schon im Mittelalter ein bedeutender Fischereihafen gewesen. Jetzt entwickelte es sich zum bedeutendsten Hafen von Yorkshire. Die Stadt liegt günstig und geschützt am Ende eines Meeresarms, Humber genannt. Von hier gibt es Wasserwege in das Landesinnere. So entwickelten sich typische Frachtschiffe um den Transport auszuführen.
Bild 1: Humber Keel , Bild 2: Karte von Yorkshire mit Hull und Goole
1. Humber Keels und Sloops
Hierbei handelt es sich um breite, kurze Fahrzeuge mit geringem Decksprung. Sie konnten entlang der Küste und auf den Binnenwasserstraßen fahren. Sie trugen einen umlegbaren Mast mit Rahsegeln. Ihre Maße richteten sich nach den Schleusen, die sie passieren sollten. Die kastenförmigen Schiffe mit ihren flachen Böden brauchten zur Kurhaltung Seitenschwerter. Humber Keels gab es schon im 14. Jh. Einige Historiker halten sie für Nachfahren von normannischen Schiffen, während andere einen Bezug zu niederländischen Schiffen herstellen. Hull wurde schon früh von niederländischen Seglern aufgesucht, die hier Schutz vor den Stürmen suchten oder Proviant aufnehmen wollten. Tatsächlich ähneln Humber Keels stark niederländischen Flachwasserseglern. Die rahgetakelten Keels bewährten sich auf den Binnenwasserstraßen, da die übereinandergesetzten Segel den Wind gut aufnehmen konnten. Als Seeschiffe hatten sie schlechte Manövereigenschaften und wurden im 18./19. Jh. vielfach durch Humber Sloops ersetzt. Diese verfügten über ein großes Gaffelsegel (das auf einem Kanal durch die Breite nachteilig war). Der Bugspriet mit den Vorsegeln konnte im Hafen eingeholt werden. Humber Sloops hatten den gleichen Rumpf wie die genannten Keels. Die Humber Keels waren ursprünglich geklinkert, im 19, Jh. wurde dann eine holzsparende Kraveel- bzw Mischbeplankung (unten geklinkert) ausgeführt. Die geklinkerten Fahrzeuge lagen ruhiger im Wasser, weil die Stöße die Schiffsbewegungen dämpften.
Bild 3: Bilander, Bild 4: Norwegisches Kattschiff . Auch die "Endeavour" hatte ursprünglich Pfahlmasten und ein Polackerrig. Somit konnten die Segel von Deck aus gesetzt werden.
2. Bilander Der niederländische Bilander war ein kleinerer Zweimaster mit Rahsegeln und einem großen Lateinersegel am Besanmast. Diese, ebenfalls kastenförmige Brigg unternahm Fahrten im Nord- und Ostseebereich. Der Bilander war an der englischen Ostküste wohlbekannt. Steve Gardham, leitender Mitarbeiter der Yorkshire Waterway Society hält den Namen Billy Boy für eine Ableitung und Verkürzung der Wörter "Billander" und "Hoy". In dieser Annahme fühlt er sich bestärkt, da in Britannien Schiffsentwürfe, Landgewinnung durch Trockenlegung, Fertigungstechniken u.a. vielfach von den Niederlanden übernommen wurden. Andere Fachleute weisen darauf hin, dass im 18. Jh. Bürger und Schiffe aus Hull häufig als Billy Boys bezeichnet wurden. denn hier sympathisierten viele in den Glaubenskämpfen mit König Willhelm III, kurz "King Billy", aus dem Haus Oranien-Nassau.
3. Gewisse Ähnlichkeiten hatten Billy Boys auch mit Whitby cats/colliers. Die Hafenstadt Whitby liegt nur ca. 60 km nördlich von Hull. Diese Fahrzeuge waren aber größer, meist waren es Drei-Mast-Barken. Sie hatten ebenfalls tiefe und breite Rümpfe um viel Ladung aufnehmen zu können. Gewöhnlich waren sie im Kohlentransport zur Themse eingesetzt um die Haushalte, Fabriken und später auch die Gaswerke mit dem Rohstoff zu versehen.
(wird fortgesetzt)
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Billy Boys sind von ihrer Größe zwischen den Humber Keels und dem Bilander einzuordnen. Wie die Keels benötigen sie Seitenschwerter, die ein Bilander hingegen nicht braucht. Sie waren entweder Einmaster (Sloops), oder hatten ein Ketch-/Schonerrig. Es ist sehr schwer Billy Boys zu identifizieren. In zeitgenössischen Aufzeichnungen werden die Schiffe gewöhnlich nach ihrer Takelung aufgeführt, nicht nach der Rumpfform. So kann ein verschollener Schoner auch ein Billy Boy gewesen sein. Ein Billy Boy hatte immer einen apfelförmigen Bug, ein Rundheck, gerade Seitenwände, einen schwachen Decksprung, ein ausgeprägtes Flach und Seitenschwerter. Der Schiffer wohnte mit seiner Familie in der Achterkabine, die Mannschaft im Vorunter. Die Hauptluke war relativ groß und rechteckig. Häufig wird eine größere Humber Sloop als Billy Boy angesehen. Beide konnten sowohl auf dem Meer wie auf den Wasserwegen im Land eingesetzt werden. Im Gegensatz zu einer Humber Sloop hatte ein Billy Boy ein hohes Schanzkleid, während die Sloop - wie bei Flussschiffen generell üblich- eine sehr niedrige Bordwand aufwies. Ein Billy Boy beförderte gewöhnlich Kohle, Backsteine oder Schüttgut nach Süden zur Themse. Fand sich keine Rückfracht, musste man Ballast aufnehmen, der meist aus Flusssand bestand. Dieser Sand war quarzhaltig und so entstanden im Bereich von Hull und Goole zahlreiche Glasfabriken. Diese mussten ihre Produktion einstellen, als in der Endphase (bis 1915) eiserne Billy Boys gebaut wurden. Diese verfügten über Ballasttanks. Billy Boys waren einfache Küstenfrachter, die auch auf den Kanälen eingesetzt wurden. So ersparte man sich das zeitaufwändige Umladen. Mit der Motorisierung war ihre Zeit abgelaufen. Aufgegebene hölzerne Fahrzeuge verrotteten im Marschland, die eisernen Exemplare wurden eingeschmolzen. Sie hatten keinen Erhaltungswert. Ihre durchschnittliche Größe betrug 15,25 m Rumpflänge und 4,5 m Breite. Einige Billy Boys wurden weitab vom Meer hergestellt: 4 Fahrzeuge entstanden in der Nähe von Leeds, 7 bei Wakefield, 4 bei Barton. 3 bei Thorne und 2 bei Stainforth, immer an künstlichen Wasserwegen. Nach 1900 wurden 2 Billy Boys in den Niederlanden aus Stahl gefertigt. Dies ist wieder ein Hinweis auf die große Affinität zu niederländischen Küstenseglern.
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Ach , mir fällt da noch was ein : Wenn das Modell dann soweit gediehen ist , dass es an die Herstellung der Segel geht - Der Apotheker oder Or..n deines Vertrauens haben doch sicher Werbung von Billy Boy . Das wäre doch was für die Probesegel .
Ich kann auch ernst . Wer rastet , der rostet . Ich gratuliere dir zu deinem neuen Bauprojekt . Das wird sicher wieder ein sehr schönes und spannendes Modell . Wie seine Vorgänger . Ich habe so nebenbei zwischen Bohnen und Pflaumen auch ein neues Bauprojekt angefangen . Aber die Admins reagieren nicht , mir einen neuen Projektordner einzurichten . Alles muss man selbst machen .
Ich habe es gewusst. Der Kämpfer mit der Pflaume ist mit diesem Projekt überfordert. So sind die Thüringer... Habe tagelang Stachelbeeren gepflückt. Bin händisch mit vielen Stacheln bestückt. In Zukunft nur noch Stachelbeermarmelade aus dem Discounter.
Hier habe ich noch was "ausgegraben": "Am 17. Oktober 1869 zog ein mächtiger Sturm aus dem Norden über die Ostküste. Die Rettungsstation in Sutton on Sea, Lincolnshire bemerkte einen kleineres Fahrzeug, das Notsignale gesetzt hatte. Das Lifeboat "Birmingham" wurde zu Wasser gelassen und traf auf ein Schiff, das auf den Sandbänken vor Sutton gestrandet war. Trotz des hohen Seegangs gelang es die Mannschaft -2 Männer, ein Schiffsjunge- sowie die Ehefrau des Schiffers und 2 Kinder zu bergen. Sie wurden angelandet und in das Gasthaus des Ortes gebracht. Mit dem Anstieg der Flut brach das Wrack auseinander und der Strand wurde mit Treibgut bedeckt. Bei dem verunglückten Schiff handelte es sich um den Billy Boy "Swan", der in Hull registriert war. Er befand sich auf der Fahrt von Boston nach Gainsborough und war mit Weizen beladen". (Freie Übersetzung aus dem Life Boat Journal von 1869) Was sagt uns der Text: 1. Die Herbststürme auf der Nordsee waren gefährlich, meist wurden die Schiffe vorher schon für den Winter aufgelegt. 2. An den Küsten Englands gab es in der Mitte des 19.JH. bereits einen gut organisierten Rettungsdienst. Die Boote waren zumeist nach den Geldgebern (hier Birmingham) benannt. 3. Das Schiff setzte eine Notflagge. Signalfeuer oder -raketen waren noch nicht gebräuchlich. 4. Das Schiff wurde von 3 Personen gefahren, Kapitän, Bestmann und Junge. Das reichte für kurze Etappen aus, war aber gefährlich bei längeren Strecken (Erschöpfung, Schlafmangel) 5. Sehr häufig war bei diesen Küstenfahrern die Familie des Schiffsführers mit an Bord. Schwierig wurde es, wenn die Kinder das Schulalter erreichten. 6. Das Schiff war schwer beladen und aus Holz gefertigt. Einen kräftigen Kiel hatte ein Billy Boy nicht. Durch das teilweise Aufsetzen brach er auseinander.
Der hier wiedergegebene Billy Boy trägt den Namen "Marvis" und wurde 1896 in Beverley gebaut. Er hatte einen eisernen Rumpf und war als Ketch getakelt. Das Seitenschwert ist schwach zu sehen. (Fotos aus der Mersea Island Collection, Essex)
Gruß auch nach Nordhausen Jörg
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Interessant. #1, Bild 3: wann das ein Niederlaendisches Schiff ist, ist da mit die Flagge etwas schief gegangen :)
'Bilander' ist in die Niederlaendische Typ-andeutungen ein ganz unbekantes Typ. Ich frage mich: wann dass Niederlaendische Schiffe waren, welche Name hatten sie hier? Sie sehen aus wie ein Snauschip oder katschip, aber das sind sie nicht: Snau hat kein Besan, aber ein Gaffel-segel, und die meiste Katschiffe waren dreimast-Schiffe
Das letzte bild in #6 sieht aus als ein 'Zeetjalk', aber auch hier 'with a twist'.
Hallo Jan, zum Bilander: Wikipedia definiert ihn als zweimastigen Segler holländischen Ursprungs. War im 17. und 18. Jh. bes. in Holland, Schweden und England verbreitet. Markantes Detail war das große Seteesegel am Besan. Der Name leitet sich von dem niederländischen Wort binnenlander ab. War eigentlich eine kleinere Brigg für die Küstenfahrt. Nicht verwechseln mit dem friesischen Bilander/vriesche Kaegh. Diese war ein Einmaster mit Sprietsegel. zur Flagge: War wieder der Hansi. Werde mit ihm "reden" müssen!
Gruß Jörg
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Zitat von Gebbi im Beitrag #1Wir sind hier in einem seriösen Forum für historischen Schiffsmodellbau und Geschichte, nicht in einem Apothekerblättchen!
.... da kann man sich aber immerhin eine Krankheit aussuchen, falls man noch keine zu haben glaubt.
Ich bin halt ein echter 68er, bin Seite an Seite mit einem ehemaligen Außenminister in Turnschuhen durch Mainhattan marschiert und habe den Attacken der hessischen Polizeikräfte getrotzt. Sekundenkleber gab es damals noch nicht. Nur würzigen Knochenleim aus Niederbayern. Doch, das hat mich geprägt. Danach bin ich in eine Klosterschule eingetreten worden. Im Großen und Ganzen bemüht sich der Hansi. Aber wer viel macht, macht auch Fehler. Jetzt steht er wieder im Regen. Selbstgeiselung ?
Der Billy Boy soll so groß werden wie das niederländische Kanonenboot (1830) und wird von ähnlicher Form sein. Er wird also kleiner als der dahinter stehende Bilander. Man goutiere auch den Anblick der Flaggen. Ja, sie sind wirklich erfreulich.
Gruß Jörg
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Inzwischen habe ich mir die Risse vergrößern lassen. Das Modell wird 45 cm lang (ohne Steven) und 14 cm breit. In Natura wären das 17x5,3 m gewesen. Die ersten drei Mallen wurden auf Pappelsperrholz geklebt, ebenso die abgepausten Schiffsenden. Diese werden aus Massivholz geformt.
Der Billy Boy hat große Übereinstimmungen mit der Eiderschnigge. die den gleichen Fahrbedingungen ausgesetzt war. Bild 2 zeigt die Eiderschnigge "Amanda" (LVSR) mit den Maßen 16,43 X 5,22 X 1,80. Sie wird von 2 Mann gefahren. Zusätzlich zur Heckkabine hat sie ein kleines Deckhaus vor dem Besan. Das im Winter 1899/1900 fertig gestellte Küstenfahrzeug treibt hier bei schwachen Wind mit der Flut die Elbe aufwärts, begleitet von zahlreichen Ewern und Kuttern. Das Schiff mit Ketchrig ist in Ballast, das Beiboot wird geschleppt. Zur "Amanda" gibt es eine gar traurige Geschichte. Im Februar 1914 übergibt Hans Wiek das Schiff an seinen 24jährigen Sohn Hinrich. Dieser ist verheiratet und gerade stolzer Vater geworden. Im Mai 1914 wird er bei einem Ankermanöver von der auf der Deck aufgeschossenen Kette mitgerissen, verletzt und ertrinkt. Der Krieg bricht aus, die "Amanda" vergammelt im Hafen. Die Küstenschifffahrt mit Seglern ist zusammengebrochen, die wehrfähigen Männer sind im Einsatz. Die Familie verkauft im Juli 1918 das Schiff an den friedrichstädter Zimmermann Klaus Witt, der es ausschlachtet und abwrackt. Nach nur 18 Jahren ist das Schiff Vergangenheit. (Bild und Angaben zur "Amanda" stammen aus dem Buch: Segler von der Eider, H. Karting, Bremen 1995, S. 74 f.)
Hätte die "Amanda" wieder auf Fahrt gehen können? 1. Nach 4 Jahren im Brackwasser ohne Lenzen und Pflege war wahrscheinlich der Bodenbereich verfault. Eine Reparatur wäre zu kostspielig gewesen. 2. Das Schiff hatte eine Tonnage von bescheidenen 60 BRT. Es konnte zu wenig Fracht laden um 2 Personen/2 Familien zu ernähren. 3. Um mit der Konkurrenz mithalten zu können, hätte ein Käufer das Schiff motorisieren müssen. Die Anschaffung und der Betrieb eines Glühkopfmotors waren teuer. 4. Die "Amanda" führte seit Anbeginn keine Klasse. Ein Befrachter ging somit ein höheres Risiko ein. 5. Holzschiffe waren pflegeintensiv. Sie wurden durch Stahlschiffe ersetzt. Sic transit......
Gruß Jörg
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