in meinem seit dem 15. Juli 2021 abgeschlossenen Baubericht der HMS Mercury hatte ich es hier und da erwähnt, dass ich plane, das Schiff in eine Vitrine zu stecken. Aber das sollte dann nicht nur ein Staubschutz sein, sondern auch eine lebendige Szene zeigen. Anfangs war der Plan, eine Sequenz kurz vor einem Gefecht mit einer feindlichen Fregatte zu gestalten. Das habe ich dann irgendwann aus verschiedenen Gründen verworfen. Schließlich hatte ich mich für eine Alltagsszene entschieden. Auf meiner Homepage im Kapitel 40 des Mercury-Bauberichtes kann man das nochmal nachlesen.
Ich muss zugeben, dass ich mich mit diesem Projekt lange Zeit recht schwer getan habe. Ideen schwirrten genügend in meinem Kopf herum, aber sie wollten sich einfach nicht zu einem schlüssigen Ergebnis formen. Ich hatte angekündigt, das Schiff auf Fahrt im Wasser zu zeigen - schließlich hatte ich mir ja so viel Mühe gegeben, mit Fön und verdünntem Weißleim die Segel ordentlich in Form zu bringen.
Schließlich wühlte sich eine konkrete Lösungsmöglichkeit nach vorn, und ich bestellte mir im Netz eine 3 mm dicke, transparente Kunststofffolie (ok, bei 3 mm Stärke kann man nicht unbedingt mehr von Folie sprechen...). Die netten Menschen von Shipyard, die ich ja 2019 auf der Intermodellbau Dortmund persönlich kennengelernt hatte, schickten mir die Lasercut-Platten für die "Wasseroberfläche" des Werftkais, den es für die Mercury gibt. So hatte ich also nun den exakten Verlauf des Querschnitts in Höhe der KWL. Jetzt ging es ans Messen, und schließlich bekam die dicke 'Folie ein passendes großes Loch. Jetzt zersägte ich zwei dicke Holzstäbe, um Stützpfeilerdummies zu bekommen, die ich später durch dünne Acrylstäbe ersetzen wollte. Lange Rede, kurzer Sinn: Diverse Stellproben damit brachten mich an den Rand der Verzweiflung, außerdem hatte ich Mühe, mein Schiff da ohne Schäden wieder herauszubekommen. Und was noch dazu kam: Immer wieder tauchten vor meinem geistigen Auge Horrorvisionen der Szene des Aufsetzens der Haube (also der Vitrine ohne Boden) auf die Bodenplatte auf. Immerhin ist das Teil mit 90 x 45 x 88 cm recht groß und mit seiner 3 mm Wandstärke (Acryl) auch ordentlich schwer. Alles muss passen, die Ränder der Wasseroberfläche müssen sitzen, und und und... Nur einmal etwas verkanten, und die Mercury bekommt einen after-Trafalgar-Look.
Und so gab es eine kurzzeitige Phase, die noch gar nicht so lange zurück liegt, in der ich schon wild entschlossen war, die Mercury einfach nur auf einem schönen Ständer in die ja bereits seit Sommer 2021 hier herumstehende Vitrine zu setzen. Zum Glück war das mit dem "schönen Ständer" auch nicht so einfach - den Kartonständer des Bausatzes wollte ich nicht nehmen, andere Varianten aber erfüllten aus verschiedenen Gründen auch nicht meine Ansprüche.
Dann aber, vor wenigen Tagen, die geniale Erkenntnis: Es war beim Zusammenbau der Vitrine nicht die obere Platte, die zuletzt aufgesetzt wurde. Es war die Vorderseite! (Ok, kann auch die Hinterseite sein, aber das ist völlig egal...)
Und plötzlich ging alles ganz schnell.
Im Netz fand ich einen Anbieter, bei dem ich Acrylrohre kaufen konnte. 3 cm Durchmesser, wahlweise ab 10 cm in jeder gewünschten Länge. Bevor ich da bestellte, baute ich mir viele 3 cm-Röhrchen aus Karton, in 10, 11 und 12 cm Länge. Kippelige Stellprobe mit der recht schweren Folie für die Wasseroberfläche. Ja, sieht gut aus, auch ohne Schiff - darauf hatte ich an der Stelle verzichtet. Ich war jetzt wild entschlossen, das Ding durchzuziehen.
Ich muss dazu noch berichten, dass bei der Lieferung der Teile für die Vitrine ein Teil angebrochen war. Reklamiert, anstandslos ein neues bekommen. Und das an einer Ecke angeschlagene Teil diente mir nun als Probe-Bodenplatte.
Von den Kartonröhrchen schnitt ich mir nun einige Ringe zu 1 und 2 cm ab. (Ich hoffe, ihr könnt mir noch folgen? ) Die von mir angedachte Höhe der KWL sollte bei 10 cm liegen, und 10 cm waren die kürzesten Acrylröhrchen, die ich bekommen würde. Also war das meine Nullinie; mit den 1 cm und 2 cm formte ich nun die Wasserfolie. Und dann kleisterte ich da Acryl Water for Dioramas Clear Water A-MIG-2205 drauf. Mit Pinsel und alter, zerschnittener Bahncard formte ich dies und das. Nach dem Durchtrocknen kam auch noch farbloser Latex zum Einsatz. So, und nun endlich kommt die Antwort auf die Frage, die ich da so gestöhnt aus der hinteren Ecke höre: "Wovon spricht der Kerl da?" So sah das dann aus: MV01.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Dann kamen endlich die bestellten Acrylröhrchen. Und so habe ich die Bodenplatte genommen und die Setzpunkte meiner Papierringe auf diese übertragen. Da, wo die Folie auf der Übungsplatte auflag, hab ich die 10 cm-Röhrchen hingesetzt. Folie drauf, korrigierende Hin- und Herschiebereien und schließlich mit Sekundenleim die Röhrchen festgeklebt. Dann wurde die von ihrer Vorderplatte befreite Haube draufgesetzt. Ja, es passt - und das probeweise Andrücken der Vorderfront hat gezeigt, dass es da auch passt. MV02.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) MV03.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) MV04.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Ok, passt also, nun die Haube wieder runter, denn: Jetzt kam ein spannender Moment: Stellprobe mit Dame. In dem Fall nicht mit meiner Lebensgefährtin, sondern mit der Mercury: MV05.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) MV06.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Das schaut schon mal gut aus, notwendige Korrekturpunkte habe ich erkannt und notiert. Nun zum finalen Hafen: In der Verwandtschaft gibt es einen pensionierten Schreiner, der mir nach meinen Vorgaben ein passendes Board gefertigt hat. Ich hab das dann noch leicht gebeizt und matt lackiert. Wer uns von euch schon mal hier in Köpenick besucht hat (@dafi ), kennt meine uralte Truhe. Auch wenn sie vermutlich nie die See gesehen hat, geht dieses geschätzte 150 Jahre alte Stück auch gut und gern als alte Seekiste durch. Auf jeden Fall passt sie wunderbar unter das Board. MV07.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Und nun schon mal die Bodenplatte mit der Wasseroberfläche draufgestellt. MV08.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Wie geht es weiter? Im Netz hatte ich mir Spezialfarbe bestellt. Dann wollte ich aus der welligen Plastefolie eine hoffentlich überzeugende Wasseroberfläche zaubern. Ebenfalls auf dem Lieferweg war ein weiteres Glas Acryl Water, um damit unter anderem das zu formen, was der alter Master Paul Quincy (aka Uwe D. Minge) in einem seiner Bücher so beschrieben hat: "Das Schiff hatte einen Knochen aus Schaum im Maul."
Ja, etwas verrückt mag das schon erscheinen - und im Folgenden wird es nicht besser.
Die dicke Folie wurde immer dicker - Schicht um Schicht kleisterte ich da drauf. Für außenstehende Beobachter mag das irgendwie planlos und chaotisch wirken, aber ich kann euch versichern: Genau das war es auch.
Oben sprach ich von Spezialfarbe. Nun, dabei handelt es sich um Windows Color Clear der Firma Kreul, in verschiedenen Farben. Die online bestellte war schnell alle, aber zum Glück gibt es in Berlin und dann auch nur 15 S-Bahn-Minuten entfernt das "Kreativkaufhaus Edelhoff", die u.a. auch genau diese Farben haben.
Ich habe dann immer Türkis, Blau und Schwarz in einem genau bestimmten Verhältnis gemischt: Türkis reichlich, blau etwas weniger, Schwarz so ungefähr... ja, das könnte reichen. Dann mit einem Schwamm aufgetupft, damit keine Pinselstreifen zu sehen sind. Diese Farbe ist nach dem Austrocknen sehr transparent. Zwischendurch dann immer mal wieder eine Schicht vom leicht verdünnten Wassergel drauf, dann wieder Farbe. MV09.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) MV10.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) MV11.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Sieht doch alles toll aus, oder?
Inzwischen ist ein toller Effekt zu beobachten: Man hat wirklich das Gefühl, in bewegtes Wasser zu schauen. Die Unterseite der Folie habe ich auch gestrichen, mit normaler Acrylfarbe, auch etwas verdünnt und auch gemischt, weil mir doch von unten viel zu viel Licht durchschimmerte. Die Mercury ist schließlich nicht in der Südsee in Landnähe und bei nur leichtem Wind unterwegs.
Die HMS Mercury habe ich am 11.Februar 2014 begonnen. Heute, nach 8 Jahren (und 7 Tagen) ist das Gesamtprojekt wirklich und wahrhaftig fertig fertig!
Schaut selbst. Ich werde morgen bei Tageslicht noch jede Menge Bilder machen, aber hier erstmal die Ausbeute des heutigen Abends: MV12.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Ach Leute, habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie ich mich heute fühle? Ich schwebe nicht nur auf Wolke 7, ich BIN Wolke 7!
Ich befürchte ja Schlimmes. Im folgenden Bild sieht man am linken Bildrand meinen Stuhl am Esstisch. Vermutlich werde ich ab sofort schrecklich viel kleckern, weil ich beim Essen ständig den Kopf nach links gedreht habe. Aber zumindest habe ich das Gefühl, dass der gestrenge Blick von Jack Aubrey nicht mehr ganz so streng ist - da blitzt schon reichlich Freude über die schmucke Fregatte aus seinen Augen... MV19.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Meine Liebste und ich haben vorhin jedenfalls mal mit unserem besten Rum angestoßen. Und das dürft ihr jetzt auch. Also mit eurem besten Rum, nicht mit unserem.
Was ich fast vergessen habe zu berichten: Es gab dann kurz vor der Finalisierung mit Schiff noch eine Stellprobe mit Wasseroberfläche und Haube, aber ohne Schiff. Mit einem abwischbaren Marker wurde dann der Verlauf der Wasseroberfläche von außen an die Seitenwände der Haube gemalt. Anschließend habe ich mit der Windows-Clear-Farbe von innen die Bereiche unterhalb der Wasserlinie mit einem Schwamm farbig eingetupft. Daher also die Einfärbung dieses Bereiches. Schaut man sich das hier in echt an, hat man schon ein wenig das Gefühl, in Wasser zu schauen. Das Unterwasserschiff ist verschwommen zu sehen, die Kupferung schimmert leicht durch. Ach ja, und das noch: Die Mercury "schwebt" nur in der Wasserfolie; eine zusätzliche Stütze unter dem Kiel war entbehrlich, da ich mit reichlich Acrylröhrchen (hatte da nochmal welche nachbestellt) ein Absacken der Folie durch den Druck des Gewichtes des Modells kompensieren konnte.
Wunderschön ist das geworden!! Ein würdiger Rahmen für ein fantastisches Modell!!
Schöne Grüße Joachim
Mein neues Buch in Deutsch und Englisch erhältlich: "Die Farbe Blau im historischen Schiffbau - von der Antike bis in die Neuzeit" siehe dazu: http://www.modellbau-muellerschoen.de
Ein Gesamtkunstwerk und wirklich ein Hingucker. So eine perfekte, und vor allem geschmackvolle Präsentation eines Modells sieht man selten! Die Röhrchen geben dem Ganzen etwas »modernes«, technisches was dem Gesamtbild gut tut. Alles toll, auch das Board und die Truhe darunter (wunderschön, ohne irgendwelche Beschläge). Du kannst mit gutem Gewissen Eintritt für die Wohnung verlangen