Der Thread ist als Ergänzung der bestehenden Untersuchungen zu William Turners »Large Drawings« gedacht und soll das gewonne Bild um den Blickwinkel des Zeichners erweitern.
Bei den Deckszeichnungen der Victory liegt das Gewicht in der Regel auf From Quarterdeck to Poop, weil der Blick in die andere Richtung vergleichsweise wenig Eindruck macht. Es ist etwas anderes, wenn man The Battle of Trafalgar, as Seen from the Mizen Starboard Shrouds of the Victory betrachtet, weil die skizzierten Elemente sich entweder dem Bildgeschehen unterordnen oder gänzlich im Pulverqualm verschwinden. From Quarterdeck to Poop ist auch deswegen interessant, weil die Abbildung wie eine Studie wirkt; ohne Plot oder ablenkende Bildatmosphäre - und für Victory-Fans kommt natürlich noch hinzu: einzigartig. Hätte sich Turner zwei Jahre nach seinem Besuch der Victory dazu entschieden, die andere Skizze From Poop to Quarterdeck mit Tusche nachzuarbeiten, was wäre entstanden? Wäre es ihm gelungen, aus der »wenig Eindruck machenden« Skizze ebensoviele Einzelheiten herauszuholen? Vor 1808 dürften sich die beiden großen Zeichnungen qualitativ sehr ähnlich gewesen sein, und man muss sich insofern fragen, wie Turner das hingekriegt hat.
Als Turner an Bord der Victory die großen Papierbögen auspackte (From Quarterdeck to Poop 42,4 x 56,5 cm und From Poop to Quarterdeck gar 46,9 x 75,6 cm) hatte er etwas bestimmtes vor; etwas, für das sein Nelson Sketchbook (11,4 x 18,4 cm) zu klein war.
Und für die Hintergrundbeleuchtung schalte ich jetzt Nicholas Tracy ein. Britannia’s Palette: The Arts of Naval Victory, 1944, von Nicholas Tracy
Maik.L
hat folgende Bilder an diesen Beitrag angehängt
Aufgrund eingeschränkter Benutzerrechte werden nur die Namen der Dateianhänge angezeigt Jetzt anmelden!
Mizen Starboard Shrouds .
1800 bankrott gegangen und wegen Schulden im Gefängnis, ein Schicksal das nicht nur Arthur William Devis traf, auch andere Maler hatten Problem ihren Kredit zurückzuzahlen. Die Chance, mit den Gläubigern ins Reine zu kommen war plötzlich da - 500 £ für das beste Ölgemäde zum Tod Nelsons. Ausgelobt hatte den Preis Josiah Boydell, ein Neffe John Boydells, dem ehemaligen Oberbürgermeister von London, deren gemeinsamer Unternehmenserfolg die Shakespeare-Gallery war. Für die Arbeit an seinem Gemälde erhielt Devis Hafturlaub, und nutzte diesen, zu Recherchen an Bord der Victory während der Überführung von Nelsons Leichnam nach Sheerness. Am 21 März 1806 präsentierte er sein Werk, und fand auf Anhieb einen Bewunderer im berüchtigten Kunstkritiker des Examiners Robert Hunt; einziger Kritikpunkt: der hohe Raum unter Deck, den Devis als Gestaltungsmittel allerdings bewußt einsetzte, um auch aufrechtstehende Personen in die Versammlung um den sterbenden Nelson einbeziehen zu können.
Auch der Präsident der Royal Academy gehörte zu den Wettbewerbern. Ob Benjamin West schon vor Januar an Bord war, ist nicht bekannt, seine Skizze Midshipman's Berth + Cockpit Ladder as seen from the Cable tiers soll 1806 - also in Chatham - entstanden sein. Unklar ist, was West damit bezwecken wollte, zwar stellt er 1808 sein The Death of Lord Nelson in the Cockpit of the Ship 'Victory' vor, doch spielt sich die Sterbeszene in einem anderem Raum als dem skizzierten ab - genau in jenem dunklen Helden unwürdigen Loch, das er als platte Tatsachenschau in Devis Darstellung hart kritisierte. Wests Beweggründe für diese Skizze bleiben verborgen, zumal er 1806 mit The Death of Nelson den Beitrag zum Thema liefert, der seinem klassizistischen Ideal entsprach.
Kurz: eine christliche Beweinungszene auf dem Achterdeck von HMS Victory. Die Besucherrekorde in seinem Attelier sprechen für das Bild, obwohl man die Zahl 30000 nicht ganz ernst nehmen sollte - »getürkt« wäre heute der passende Ausdruck. Die Kritik unter Malerkollegen wich auch deutlich von der öffentlichen Meinung ab. »West's Death of Nelson was „far inferior“ to his Death of General Wolfe«, war Nathaniel Dance-Hollands Einschätzung, er fand, Wests Darstellungen seien zur Manier erstarrt - West kopiert sich selbst, und wenn man das 36 Jahre zuvor gemalte Death of General Wolfe sieht, weiß man was gemeint ist.
Turner schon; allerding hat er ein Problem. Das Thema rief insbesonders Portraitisten auf dem Plan. Für Turner, dem Portaits nicht lagen, war es eine echte Herausforderung. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das sofort klar ist, sein Blick geht in beide Richtungen, es fällt aber auf, dass Turner mit einer einzigen Zeichnung das Thema From Quarterdeck to Poop abhakt, während From Poop to Quarterdeck zahlreiche ableitende Stellproben in seinem Nelson Sketchbook folgen.
Ich denke, er zeichnet zuerst die Ansicht mit Hüttendeck, stellt sich mit seinem großen Papierbogen rechts neben dem Großmast auf und… Ja Sir, eine Zeichunterlage kann ich ihnen bringen. Die Beting muss im Weg gestanden haben; vielleicht wäre er ja gerne noch ein Stück zurückgetreten, um etwas Abstand und zu gewinnen, aber da war die Kuhl. Er räumt also die Beting aus der Bildachse und zeichnet den Schauplatz für seinen »Death of Nelson«.
An dieser Stelle könnte West in die Rolle des Zeichners schlüpfen, und ich glaube, fast jeder, der Turners Zeichnung kennt und Wests Gemälde sieht, denkt: „Aha, wie bei Turner“. Ich frage mich, wo Wests Skizze des Achterdecks geblieben ist, war er am Ende um eine Skizze der als Helden würdig erklärten Umgebung verlegen, weil die Fähnrichsmesse als Schauplatz nicht mehr infrage kam, nachdem er den Konkurrenten Devis für seine Wahl verunglimpft hatte? Sollte er Turner gebeten haben, ihm in Ermangelung einer Deckssizze seine zu leihen, kann ich mir vorstellen, dass Turner dem Akademie-Präsidenten diese Bitte nicht ausschlug, und vielleicht war er sogar froh darüber, dass sich West diesen Claim absteckte und mit Köpfen füllte. Aber ich denke, er hat sich schon viel früher für die entgegengesetzte Richtung entschieden. Mehr Raum, mehr Abstand, weniger Portrait, also verdrückt er sich in die Kreuzwanten - behauptet er zumindest in The Battle of Trafalgar, as Seen from the Mizen Starboard Shrouds of the Victory - und erschafft etwas bis dahin nicht Gesehenes, Neuartiges.
Nein, nicht alles wie bei Turner, auf den zweiten Blick machen sich Unterschiede bemerkbar. Gibt es Einzelheiten, die Turner erst in seiner Überarbeitung mit Tusche aus der Bleistift-Zeichnung herausholt, d.h. Einzelheiten, die West nicht darstellt, weil er sie in der Zeichnung nicht zu deuten weiß?
Wir schauen nach achtern über das schmucklose nüchterne Süll des Niedergangs mit seitlichem Einstieg, sehen das zur Seite gerückte Kompasshäuschen (Nachthaus) und den Ruderstand, der offensichtlich nach der Beschädigung in der Schlacht wieder hergerichtet ist. Wenn der Kreuzmast nicht einige Fenster verdeckte, müssten sieben zu sehen sein, abzüglich der zwei Heckfenster in den Seitengalerien; man sieht aber nur vier. Ein Ungleichgewicht der Bildhälften macht sich bemerkbar, ausgelöst durch eine überzählige Geschützpforte. Rechts gegenüberliegend erscheint anstelle die geschlossene Tür zur Seitengalerie im schattigen Halbdunkel des großen Raumes.
In der Beschreibung vermutet tate.org.uk, Kabinenfenster seien zu Geschützpforten umgewandelt worden, aber an dieser Stelle war kein Fenster sondern die Tür. Ob die Umwandlung in dieser Form machbar war, sei dahingestellt, zumindest hätte es anders aussehen müssen, denn der Ausblick, den uns Turner durch die Pforten gewährt, passt nicht zur skizzierten Gesamtansicht D05467 »The ‘Victory’: Starboard Side«. An der ist nichts Ungewöhnliches (bis auf die Fensterzeilen, die in die falschen Decksebenen übergehen) - drei Pforten unter dem Hüttendeck plus eine unter dem Decksvorsprung der Treppe und die Seitengalerie ist vorhanden, wie weit sie beschädigt sein könnte, lässt sich nicht ablesen, Die überarbeitete Zeichnung hingegen erweckt den Eindruck, als schaue man durch die offenen Pforten auf Rüsteisen; die wären hier aber fehl am Platz, denn das Rüstbrett befindet sich nicht nur unterhalb der Pforten, die Wanten müssten weiter vorn erscheinen; eine Seitengalerie von Innen können diese diagonalen Linien jedenfalls nicht darstellen.
Turner hat beim Zeichnen einige Bemerkungen über das Blatt verstreut, in Bleistift geschrieben, hinzugefügt. Fast unkenntlich geworden, erscheinen sie von anderer Hand wiederholt auf dem grauen Passepartout. Nur ein Hinweis ist von anderer Qualität; in Tusche und damit eindeutig in der Überarbeitung ergänzt: »Guns 12 lb used in the Ports marked ‘x’« - die X-Markierungen in der rechten Bildhälfte sind nur schwer zu identifizieren und vielleicht noch erhaltene Bleistift-Originale, linkerhand aber mit Sicherheit Tusche.
Bei West entzieht sich diese Partie einem Vergleich; der Blick in den Raum ist von Menschen verstellt und mit Pulverqualm vernebelt. Stimmt die Datierung seiner Innenraum-Skizze, war West nach Entfernen der Jury-Masten (am ersten Januar) an Bord. Ich frage mich, weshalb er dennoch einen Jury-Kreuzmast malt, wie ihn Turner gesehen hat, und nicht das Orignal in Kompositbauweise mit Eisenbändern rekonstruiert; in Chatham hätte er in Erfahrung bringen können, was es mit den fehlenden Masten auf sich hat. Die Reling an der Vorderkante des Poop-Decks zeigt die stärksten Abweichungen. Das Gemälde bietet keine erkennbare Ordnung an, die Teilungsverhältnisse zwischen Holzstützen im Relingssockel und den metallenen des Relingsaufsatzes mit den in den Zwischräumen montierten Swivel Guns sind willkürlich und durch Signalflaggen kaschiert.
Bei Turner zähle ich acht Stützen im Sockel und vier Metallstützen darin, in einem Verhältnis von 2:4:2 verteilt - in den drei ungleichen aber insgesamt symmetrischen Zwischenräumen sind die Drehbassen platziert; Turner ist hier zwar nicht wirklich exakt in der Bemaßung der Abstände, doch wirkt seine Darstellung überzeugend funktional - die Drehbassen in Ruheposition, genauso wie der eingeschränkte Aktionsradius der äußeren beiden; besonders wenn man den langen dünnen Handlauf betrachtet, muss man an West Darstellung zweifeln. An Steuerbord ist bei ihm die Poop-Reling beschädigt und der Handlauf abgesplittert. Turner notiert zwar »Rail shot away during the action« und zeigt eine wiederhergestellte Reling, doch Holz scheint mir das falsche Material für diesen Handlauf zu sein; einer aus Holz wäre bestimmt schon vor der Schlacht zerbrochen.
Den größten Unterschied sieht man schließlich beim Relingssockel. Es handelt sich um die Details, welche Turner hier in seiner übertuschten Zeichnung sehr konkret werden lässt (in dafis Thread geht es umd diese Rollen- und Klampen- oder Wieauchimmer-Konstruktion), Einzelheiten, die bei West gänzlich fehlen - bei ihm gibt auch nichts Anlass zur Vermutung eines Axiometers (dafi entdeckt es an einem Modell der Victory aus dem NMM).
War West nicht an der Darstellung interessiert oder hat er diese Elemente nicht gesehen? Er zeigt eine durchgängige Profilleiste an der Vorderkante der Poop, und am rechten Bildrand glänzt metallisch eine Art Doppelöse, mehr aber nicht.
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die andere Großskizze. In The Battle of Trafalgar, as Seen from the Mizen Starboard Shrouds of the Victory hat dafi bereits eine von den vier scheibgattartigen Blockkonstruktionen im verbliebenen Rest des Relingssockels entdeckt. In der Skizze ist anscheinend nichts davon zu sehen; schaut man genauer hin, fallen die unterbrochenen Linien im mittleren Bereich der Sockelleiste auf.
Sollte das ein verschlüsseltes Memo in der an Bord gezeichneten Skizze sein, könnte ich mir vorstellen, dass auch in der Vorderansicht des Relingssockels einfache Auslassungen Turner als Merkhilfe dienten - versteckte Hinweise, mit denen West nichts anzufangen wusste? Übrigens, stellt Turner diese scheibgattartige Konstruktion richtig dar, müsste eine Klampe an der Vorderseite angebracht sein, die aus diesem Bilckwinkel nicht zu erkennen ist; eine Vertiefung zwischen den Rollen ist nicht zu sehen.
Als ich Wests »Dearh of Nelson« sah, war mein erster Eindrück: „Wie bei Turner“, unter anderem, weil auch er den Niedergang mit Einstieg quer zur Kiellinie abbildet. Die Grundform des Sülls ist quadratisch, weshalb die Ausrichtung der Treppe auch nicht im Widerspruch zum Bauplan stehen muss. Turner zeichnet das Süll wegen der Perspektive stark verzerrt trapezförmig, West klappt den Bildvordergrund etwas runter, wodurch der Niedergang in leichter Aufsicht erscheint, aber bei ihm ließe die Gangway keine beliebige Ausrichtung zu; aus seiner Form ist kein perspektivisch verschlüsseltes Quadrat zu extrahieren. Hat er das nicht richtig erkannt (in der Skizze) oder waren ausschließlich Kompositiongründe für die falsche Form ausschlaggebend?
Sollte sich herausstellen, dass Wests Achterdeck wirklich von Turners Skizze abgeleitet ist, gibt es noch ein anderes Bild, anhand dessen sich überprüfen lässt, ob Turner in seiner Skizze den Niedergang richtig wiedergibt. Denis Dighton bildet die gleiche Szene wie West ab. Quereinsteiger, die einen Verletzten unter Deck schaffen, und ein Süll ohne Reling. Es scheint als sei diese Form mindestens bis 1825 erhalten geblieben, denn Dightons Darstellung wirkt zeitgenössisch.
Aber nicht nur in den Elementen, die West vermissen lässt, unterscheidet sich sein Gemälde von der übertuschten Zeichnung, direkt hinter dem Süll auf unbesiedelter Fläche glänzt ein schmucker Eisenring. Nicht mehr als ein dekorativer Raumfüller, denn zum Einhängen der Rückholtakel müssten hier zwei Ringe mit Ringbolzen befestigt sein, in etwa gleicher Höhe, aber nicht zentral sondern beiseitig des Niedergang-Sülls.
»White Cloth« notiert Turner in seiner dreiviertel Heckansicht und meint damit die Abdeckungen der Finknetze um Achterdeck und Poop. Bei Turner wirkt die Persenning locker aufgelegt, auf der Poop ist sie etwas hochgeschlagen, gewährt aber keinen richtigen Einblick. Ich meine zwei dicke Holzstützen zu erkennen und fühle mich an das Laufstellchen ums Hüttendeck erinnert, wie es auch beim Vollrumpfmodell im NMM erscheint. Die aus den Finknetzverkeidungen hervorragenden Stangen, in »Was ist das? Detail Poopdeckreling« überzeugend als Enternetz-Halterung identifiziert, fehlen bei West. Seine Persenninge sind straff um die Finknetze gespannt, nur auf der Poop lugen aus einem Spalt verstaute Hängematten hervor.
Der rote Faden in West Bild, an der Gangway zur Poop anstelle eines massiven Geländers, stimmt mit der schlaffen Leine in Turners Zeichnung überein.
Was in Wests dichbevölkerter Decksszene gut rüberkommt, sind die Größenverhältnisse, die Höhe der Poop-Reling schätze ich auf 80 cm, zumindest ist sie deutlich unter Hüfthöhe. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht stellenweise klemmt in diesem klassizistischen Paradebeispiel.
Kapitulation einer deformierten Übermacht. Ein Riese, mit rotem Kopftuch und einer spanischen Flagge in Händen, beugt sich dem Admiral entgegen - die Gestalt daneben, mit der Trikolore über dem Arm und den zum Gebet ineinander gedrückten Händen, muss den Proportionssprung büßen. Ich habe Mühe, den ausgestellten Fuß des Mannes mit seinem Kopf in einen anatomisch gerechtfertigten Zusammenhang zu bringen.
Wer war wo als Nelson fiel? Falls noch ein Terminkalender existiert, der West an die Portrait-Sitzungen in seinem Atellier erinnerte, sollte es möglich sein, anhand der Einträge herauszufinden, wer zur Sitzung erschien, und welche Portrait-Köpfe die freigelassenen Stellen schließlich füllten. Scotty, wo bleiben die Körper? Zwei Männer möchten hinter das Geschütz unter dem Treppenvorsprung gebeamt werden. Große Gesichter. „Wir hatten einen Termin!“. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
Von William Heath als Rundum-Bild gemalt, um einem keinen Besucherkreis (bedingt durch die Raumgröße) den lebendigen Eindruck zu vermitteln, direkt am Geschehen beteiligt zu sein.
Scharze Eisenbänder um den Kreuzmast zwar, aber nicht nach Anordnung Nelsons übermalt. Poop-Reling ähnlich gestaltet wie Wests, aber noch weniger Einzelheiten, räumlich um Einiges unklarer, und, legt man Turners Ansicht zu Grunde, viel zu breit. Die Niedergänge zum Achterdeck sind weggelassen - links eventuell im Pulverqualm verborgen aber rechterhand eindeutig fehlend; hier wird die Poop-Reling einfach fortgesetzt und von einer aufgeregten Menschenansammlung verdeckt. Ich sehe Davits auf Höhe der Kreuzrüsten; ein Hut schwingender Mann auf den verpackten Finknetzen der Schanz ums Achterdeck, ohne erklärbaren Stand. Die neun Wanttaue am Großmast überzeugen nicht, und wie die meisten Maler, hat sich Heath bei der Galions-Gestaltung der umgebenden Schiffe auf ein einheitliches Schema festgelegt.
Die Anzahl der Geschützstationen auf dem Achterdeck ist unklar - mindestens drei vor der Poop; wahrscheinlich noch mehr. Vermutet man hinter der Qualmwolke rechts im Vordergrund ein abgefeuertes Geschütz, weiß man auch weshalb sich der Mann so erschreckt. Den Finknetzen nach stand es in der Öffnung zum Fallreep. Wer hat sich das bloß ausgedacht? Egal, jetzt ist es weg. Ein unglücklicher Umstand hat das Geschütz beim Abfeuern ausscheren und in die Kuhl abstürzen lassen.
Die heute in Portsmouth zu sehende Eimerkette an der Poopreling ist demnach für die »Trafalgar Condition« zu vernachlässigen? Was ist mit dem Niedergang im Vordergrund der Turner Skizze? Er läuft quer zur Schiffslängsachse, von Steuerbord nach Backbord. Ist das glaubwürdig?
Vielen Dank auch noch verspätet zu Deinen Ausführungen zur Oberblinderah in meinem abgebrochenem Baubericht!
Zitat von Klabauter im Beitrag #9Die heute in Portsmouth zu sehende Eimerkette an der Poopreling ist demnach für die »Trafalgar Condition« zu vernachlässigen? Was ist mit dem Niedergang im Vordergrund der Turner Skizze? Er läuft quer zur Schiffslängsachse, von Steuerbord nach Backbord. Ist das glaubwürdig?
@Klabauter Wie gesagt, gehe ich davon aus, dass Turners Zeichnungen die einzigen sind, die zwischen den Jahren 1805 entstanden. West orientiert sich m.E. daran, und Beispiel Heath zeigt, nach 15 Jahren ist die Formvorstellung anscheinend ähnlich bzw. geblieben. Ich weiß nicht, ob das als »Trafalgar Condition« zu werten ist, Turner sagt, dass es so ausah. Er zeichnet zwar nicht alles genau (s. Gesamtansicht Steuerbord - Decksverlauf/Seitengalerie), aber er phantasiert nicht, ich denke, er holt das aus der Zeichnung raus, was er zwei Jahre zuvor sah - die rückseitige Ansicht dieser blockartigen Anordnung im Relingssockel malt er schon 1806. Ich werde noch zeigen, wie er Dinge räumlich unmöglich kombiniert - aber sie sind für sich genommen nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Beim Niedergang gehe ich davon aus, dass die quadratische Form des Sülls vier Ausrichtungen zulässt. Konstruktionstechnisch also kein Mangel, und es ist eben nicht nur Turner, auch Dighton zeigt 1825 eine gleiche Anordnung und ein schmuckloses Süll.
Im Übrigen versuche ich in Turners Zeichnungen, die Victory nicht durch den Proxy in Portsmouth zu sehen. Dabei stelle ich mir die Frage, weshalb soll man davon ausgehen, dass Dinge, die wir aus heutiger Sicht am Bild vermissen, vorhanden waren, der Zeitgenosse sie uns aber vorenthält; zeitperspektivisch wäre diese Vorgehensweise falsch, weil dadurch viele Dinge erst entstehen, ohne dass sie eine sicherere Grundlage als eine Vermutung haben.
Ich fage mich also eher, passen Pulvereimer zu Turners Poopreling? Wären sie, als Turner das leergeräumte Schiff sah, nicht mit den Geschützen als Ausrüstungsgegenstände woandershin verschwunden, und wann erscheinen sie nachweislich? Bei den Relings muss man sich im Grunde genommen auch die Frage stellen, in wieweit sich ein Schiff verändert, wenn es nur noch als Kommandoplattform des Hafenadmirals dient - und in wieweit heute die Sicherheit beim Schiffstourismus eine Gestaltungsrolle spielt. 1805 nach der Schlacht war die Victory kein Museumsschiff; aus Sicht damaliger Anforderungen könnte ich mir vorstellen: je weniger Holz, desto weniger Splitter.
Man muss auch immer bedenken: Diese Zeichnungen sind alle "post-Trafalgar". Sämtliche Beschädigungen führten zu nicht vorhandenen Details und die ganzen Notreparaturen und Flickwerek lässt nur bedingt auf den Zustand vor der Schlacht schließen. Allerdings schließen sich für mich die Eimer und die Ruderstandsanzeige gegenseitig aus. Auch die Reling des Pupsdecks ist ja in den Schlachtbildern nicht zu sehen, während der Sockel der Reling ja laut Skizzen überdauert hat. Auch die seitlichen Treppen und die Verblendung der Hängemastenhalter ist in dieser Zeichnung und anderen historischen Hinweisen anders gelegt als heute zu sehen. Auch das zu viel erscheinende Fenster hinten wäre nach meiner Interpretation die Tür, die bis zur Hälfte verkleidet wurde. Auch die ominösen Geschütze sind klar past-Trafalgar, da die Reling je nicht überlebt hatte. Beachtenswert ist auch, dass diese fast auf Kniehöhe sitzen.
@dafi solltest du The Battle of Trafalgar, as Seen from the Mizen Starboard Shrouds of the Victory meinen, werde ich noch in der folgenden Großskizze darauf eingehen, aber betrachtet man einfach mal Turners Sockelrest; nach Zerstörung (wie z.B. in Wests abgemilderter Form) sieht der nicht aus. Ich glaube die Poop-Reling ist genauso im Weg wie die Beting hinter dem Großmast, und insofern ist Turners Vorbereitung seines alternativen »Death of Nelson« noch interessanter als sein abgehakter Versuch.
Wobei ich bei der Quaterdeck to Poop noch immer meine Zweifel habe, ob ein echter Turner. Die anderen Tate-Skizzen sind klar sein Stil, aber diese Zeichnung fällt komplett aus dem Rahmen. Gibt es hier vergleichbare Bilder von ihm in ähnlichem Stil? Kenne da leider zu wenig. Der einzige Turnerismus ist die aus der Schiffsachse versetzte Beting. Ansonsten viel zu genau und wenig intuitiv als üblicherweise von ihm gewohnt.
Klassischerweise verzerrt er ja sämtliche Proportionen, die sich der Gesamtproportion unterordnen müssen: Höhen werden um ein Vielfaches überbetont, Räume erweitert, wie beim Bild aus den Kreuzwanten, Ereignisse verschoben oder zusammengefasst. Auch seine "letzte Fahrt der Temeraire" hat wahrscheinlich auch falsche Farbgebung des Schiffes und die Masten dürften künstlerische Freiheit sein.
Aber so genau? So genau kenn ich ihn leider nicht :-)
Ich sehe da eigentlich keinen Grund, den in Tusche geschriebenen Titel und die Signatur nebendran anzuzweifeln, und so genau finde ich Turners From Quarterdeck to Poop aus der Nähe betrachtet gar nicht - Ruderstand, Swivel Guns? Vergleiche ich die Details im Vordergrund, sehe ich schon etwas Ähnliches hier: Cowes Castle, Isle of Wight ?1796
Man kann nicht sagen, dass er sein Handwerk nicht gelernt hat. Im Wesentlichen sind es Architektur-Darstellungen… A Fishing Boat in Surf, Seen from Behind 1796–7
Turners überarbeitete Skizze findet durchaus Vergleich in seinem Werk.
Zitat von dafi im Beitrag #13Auch seine "letzte Fahrt der Temeraire" hat wahrscheinlich auch falsche Farbgebung des Schiffes und die Masten dürften künstlerische Freiheit sein.
Bei der Temeraire kann man ja ziemlich genau sagen wie Endstation Rotherhithe aussah.
Aber ich denke, als Turner 1839 sein Gemälde vorstellte, wollte man das gar nicht so genau wissen. Walter Thornburys 1862 in erster Fassung veröffentlichte Turner-Biografie ist ein interessantes Zeitzeugnis, nicht nur wegen emotionaler Themenverbundenheit, er teilt einige folkloristische Ansichten, die man von fachlicher Seite offensichtlich auch 10 Jahre nach Turners Tod noch nicht als korrekturwürdig betrachtete. So erwähnt er Turners Betrübnis, als ihm erklärt wurde, der so oft gehörte Ausdruck und liebgewonnene Arbeitstitel »The Fighting Téméraire« sei unrichtig; „Solle man sie fortan doch 'Old Téméraire' nennen“, erwiderte Turner den Tränen nah. Und auch Thornbury greift zum Taschentuch, „'The Fighting' ist als Ehrentitel zu verstehen, zwar weiß man nichts über die Vorgeschichte des 'allzu wagemutigen' Schiffes, welches in der Schlacht am Nil in 'unsere' Hände fiel, aber in der Schlacht der Giganten kämpfte sie sagenhaft“. The life of J. M. W. Turner, R.A. by Walter Thornbury, Vol. I, LONDON: HURST AND BLACKETT, PUBLISHERS, SUCCESSORS TO HENRY COLBURN, IS, GREAT MAELBOBOUQH STREET. 1862, Seite 336-337
Und ich denke, Turner ging auch vom französischen Ursprung des Schiffes aus - Abukir möchte ich als zusätzlichen Irrtum nicht so stehen lassen, es war 1759 in der Seeschlacht bei Lagos.
ZitatMan hat lange geglaubt, dass Turner selbst Zeuge war, wie die Téméraire von ihrem normalen Ankerplatz in Sheerness am 5. und 6. September 1838 hinauf zu Beatsons Schiffsverschrottungswert in Rotherhithe geschleppt wurde. Heute erscheint es aber wahrscheinlicher, dass er hiervon in der Zeitung gelesen hat. Was er las und was er malte, sind jedoch zwei völlig unterschiedliche Dinge. Zunächst einmal veränderte er die Téméraire. Die Royal Navy schrieb grundsätzlich vor, dass alles, was von einem Schiff noch wieder zu verwerten war, auch abmontiert werden musste, bevor es von seinem normalen Ankerplatz zur Abwrackung geschleppt wurde. Folglich wies die Téméraire keine Masten mehr auf, als sie den Fluss hinaufgeschleppt wurde, so dass Turner, wenn er dies beobachtet hätte, nur noch ihren Rumpf gesehen hätte. Turner versetzte das Schiff mittels der kompletten Masten und Segel jedoch in die alte Pracht seiner Blütezeit vor 30 Jahren zurück.
J.M.W. Turner von Eric Shanes, Parkstone International, 01.07.2011 - Seite 52