Erwähnenswert finde ich diese beiden - D05471 und D05482.
Bei der ersten ist die rechte Hälfte der Victory unverändert aus der Großskizze übernommen. Turner verdeutlicht sich selbst die Deformation, indem er die Wanten einzeichnet - der Betrachter steht noch auf der Poop. Merkwürdig erscheint der nach rechts gerückte Fockmast.
Der Mast ist auch in der zweiten Blickprobe noch an gleicher Stelle, der Standpunkt des Betrachters hingegen hat sich verändert, ist aber noch viel zu seitlich für die Kreuzwanten.
Turner denkt nach. Der Blick entlang der Bordwand und die Platzierung der Menschengruppen, aber auch, dass er seinen ursprünglichen Entwurf zugrunde legt. In dieser kleinen Skizze ist die Idee, das Geschütz unter der Treppenplattform zu zeigen, ausgeblendet; eine Begrenzungslinie markiert die Kante des Hüttendecks und nimmt der Gruppe um den niedergeschossenen Nelson viel Platz weg. Spürbar treibt ihn die Frage um, wie er Raum für einzelne Personengruppen schaffen soll. Das scheint mir auch der zwingendere Grund für die fehlende Poop-Reling - zwingender als die konsequente Umsetzung seiner Anmerkung, diese sei während der Schlacht weggeschossen worden.
Und darauf muss die Idee mit den Kreuzwanten ihn dazu bewogen haben, die rechte Bildhälfte abzuschneiden. Die linke Hälfte, inklusive Geschütz unter dem Treppenvorsprung konnte er aus der Großskizze übernehmen.
Schließlich noch diese Aufsicht des Decks D05469, in der außer Positionsmarkierungen zu einzelnen Personen die Treppenvorsprünge in etwas gängigeren Dimensionen eingezeichnet sind.
Kleine Kuhl, wie in der Großskizze geschildert, mit einer Persenning oder Segeltuch abgedeckt; bis auf den schmalen Streifen steuerbordseits, der die Querbalken sichtbar werden läßt.
In der Beschreibung bei tate.org.uk wird zwar vermutet, dass jemand anderes an Bord der Victory die Zeichnung anfertigte und Turner sie lediglich beschriftete, doch die eigenwilligen Proportionen sind nach dem bisher Gesehenen nicht so ungewöhnlich, dass sie Turner nicht selbst in sein Skizzenbüchlein gezeichnet haben könnte - Ich frage mich höchstens, weshalb die Treppenvorsprünge so klein ausfallen.
Ich finde, dieser grobe Decksplan verrät einiges über Turners Selbstverständnis. Pocock schaffte es, Baupläne zum Leben zu erwecken, auch Turner bediente sich für sein Trafalgar-Gemälde von 1824 eines Bauplans der Victory, was angesichts des Ergebnisses einigermaßen erstaunt; Interesse an wirklichkeitsnaher Konstruktion kann es nicht gewesen sein. Vielleicht wollte er damit nur Sorgfaltspflicht bei der Bildvorbereitung bekunden. Der viel zu breite Decksraum längs der abgedeckten Kuhl spricht dafür, dass er sich lediglich einen Überblick des Bildraums seiner Großskizze verschafft. Anstatt seinen Entwurf anhand eines Plans zu korrigieren, ordnet er sein Universum. Kein Wunder, dass der pummelige Bühnenraum dieser flüchtigen Personenstellprobe nicht besonders shiplike wirkt. Fock- und Großmast hat er auf dem Schirm, der Abstand zwischen ihnen ist aber unrealistisch klein. Proportional richtig müsste der Kreuzmast zwischen den Decksvorsprüngen der Treppenabsätze im Wege stehen, also verbannt er den Störenfried ganz aus der Planung seines Bildraums. "Da war doch noch was?", erinnert sich Turner und bringt völlig unvorbereitet den Mast achtern doch noch im Bild unter.
Verallgemeinernd bemerkt, in Turners Spezial-Disziplin gibt es keinen Rückwärtsgang; im Zuge seiner Gestaltungsüberlegungen entfernt er sich zunehmend vom gesehenen Bild. Insofern sind seine In-situ-Veränderungen am großen Trafalgar-Gemälde keine Korrekturen im landläufigen Sinne, die Verlegung der Wasserlinie verändert den Gegenstand, ohne Rücksicht auf den Bildraum zu nehmen, und hier ist der Kreuzmast Folge dieses korrekturlosen Voranschreitens.
An Deck stellt er die Seesoldaten als Sichtschutz in den Weg, löst die Back in Nichts auf - vereinsamt und deutlich steht ein Mast vor uns. Ergänze ich das Bild über den Verlauf des Kreuzstags und den angeklebten Kreuzmastschnipsel, spüre ich galaktische Leere. Großmast? Irgendwie das falsche Wort.
In seiner Skizze wirkt der Mast nicht so unproportional - trotz oder vielleicht wegen der fehlenden Großrah. Im Gemälde bemüht er sich Groß- und Großmarsrah mit Einzelheiten wie den Leesegelspieren auszustatten, aber insgesamt verstärkt sich dadurch nur die Unstimmigkeit. Zusätzlich die linke Bildhälfte beschnitten, hätte er den störenden Effekt vermieden und die Skizze besser zur Wirkung gebracht:
Nein, es geht nicht direkt um die Victory, obwohl sie in einer keinen Szene im Zweikampf mit der Santissima Trinidad abgebildet ist. Es geht auch nicht um die Schlacht von Trafalgar. In Heckansicht die spanische Prise San Nicolas, HMS Captain dahinter, vom Achterdeck der San José gesehen. Nelson eroberte beide Schiffe 1797 in der Schlacht am Kap St. Vincent, eine spektakuläre Aktion, als »Nelson's Patent Bridge for Boarding First-Rates« in die Geschichte eingegangen.
Zitat von NMMwar Porträtmaler und Kupferstecher von George III, der oft eigene Porträts als Stiche anfertigte. Das Gemälde ist signiert und datiert, 'Orme pinxit 1799'
Eine interessante Parallele zu Turners nachbearbeiteter Achterdecks-Darstellung und Wests Gemälde.
Niedriges schwarzes Finknetz auf der Schanz, darin Hängematten in schwarze Persenning verpackt. Ins Auge sticht das Geländer der Gangway; hier wie da eine einfache Leine. Die niedrige Poop-Reling mit Glocke in der Mitte - darunter, vom Hut abgedeckt, ist das ein Axiometer? Wenn, dann recht einfach konstruiert.
Ob Bild nach Vorbild, wird nicht erwähnt, aber als sieben Jahre vor Wests entstandene Version zumindest erwähnenswert.
Orme ist Portraitmaler und kein Marinemaler, dennoch ist seine HMS Captain in einem Details bemerkenswert, Der Abstand zwischen den Batteriedecks wirkt zu groß. Das Pfortenband der oberen Batterie ist ockerfarben unterlegt, das der unteren schwarz; um so auffälliger der zu große Abstand, weil das »geschwärzte Barkholz« dazwischen einen Streifen-Look erzeugt.
»Blacking the wales outside the hull« erwähnt Fähnrich Rivers als Maßnahme beim »slight refit« nach dem Zusammentreffen der Flottenverbände, ausgeführt in Portsmouth vom 18. August bis 14. September 1805.
Nelson's Victory: 250 Years of War and Peace von Brian Lavery, EAN: 9781612518671, U S NAVAL INST PR, April 2015 - Seite 128