In diesem kleinen Beitrag über die Vlieboote soll der Versuch unternommen werden, einmal den frühen Schiffbau in Zeeland in groben Zügen aufzuzeigen.
Der Anfang
Alles begann mit einigen wenigen Bestecken, die mir freundlicherweise von Herrn Menno Leenstra in den 1998/99er Jahren überlassen wurden. Es handelte sich dabei schon um transkribierte Texte. Bei den in den Bestecken vorkommenden Schiffstypen handelte es sich unter anderem um Vlieboote, Pinassen, Craveele und zu guter letzt auch um das sogenannte Schiff. Im letzten Fall ist es besonders schwierig, das Besteck einem bekannten Schiffstyp zuzuordnen. Lange Zeit schlummerten diese Texte im Bücherregal und auf der Festplatte des heimischen Rechners. Im Jahre 2017 kam dann der erste Besuch im Zeeuws Archief in Middelburg. Schnell konnten im gut sortierten Archiv einige Bestecke von Vliebooten, Pinassen und den anderen Fahrzeugen gefunden werden. Parallel wurde die entsprechende Fachliteratur zum Thema aus den heimischen Beständen zurate gezogen und die wenigen, greifbaren Informationen ausgewertet. Schnell stand fest, dass es sich bei den gefundenen Bestecken um die ersten Flottenaktivitäten der Provinz Zeeland handeln musste. 1586 soll die Marine ins Leben gerufen worden sein. Es dauerte allerdings noch einige Zeit, bis ein tragfähiges Konzept zum Bau von Kriegsschiffen auf dem Tisch lag. Prins Maurits (1567-1625), einer der Söhne von Willem I (1533-1584), engagierte sich intensiv um die Belange des Militärwesens. Er lies vieles verbessern und führte Neuerungen in der Kriegstechnik ein. Sie mussten für die damalige Zeit revolutionär gewesen sein, denn in der entsprechenden Fachliteratur wurde immer wieder auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Prinzen hingewiesen. Diese Entwicklung soll hier aber nicht näher beleuchtet werden, da sie nur bedingt etwas mit dem Thema Schiffbau zu tun hat.
Der 80jährige Befreiungskrieg der Niederlande von der damaligen Weltmacht Spanien wurde nicht nur durch das Landheer, sondern in Teilen auch durch kleine Einheiten von Binnenfahrzeugen aller Art durchgeführt. Die Befreiung verschiedener Städte, die ganz überwiegend an den großen Gewässern in den Provinzen Zeeland und Holland lagen, wurden meist mit Unterstützung von der Wasserseite geführt. Hierzu benötigte man kleine Fahrzeuge, die auch auf den Binnengewässern operierend konnten. So entstand ganz nebenbei aus dem Sammelsurium der verschiedensten Schiffstypen, eine Art Flotte. Hier ging es nicht um die Bereitstellung einer schlagkräftigen Kriegsflotte, denn diese hatten sie nicht. Die kleinen Schiffe und Boote waren ganz überwiegend mit den legendären Watergeuzen bemannt. Die ursprünglichen Seeräuber teilten die Meinung der meisten Niederländer. Sie wollten die Fremdherrschaft der Spanier beenden. Durch entsprechend ausgestellte Kaperbriefe versuchte man die Watergeuzen besser in den Dienst für das Land einzubinden.
Die Verantwortlichen um Prins Maurits entwickelten in den 1580er Jahren ein Flottenbauprogramm, um sich der spanischen Herrschaft zu entledigen. Die Spanier gingen recht schnell nach der Einnahme Dünkirchens (Jahreszahl der Einnahme) dazu über, den niederländischen Seehandel zu schwächen. Sie setzten zu diesem Zweck Vlieboote ein. Wo diese Vlieboote herkamen, oder wann sie wo gebaut wurden, verschwindet im Dunkel der Geschichte. Sie waren da und wurden erfolgreich eingesetzt. Ganz allgemein geht man davon aus, dass das Vlieboot zur Familie der Boote gerechnet werden kann. Um den Spaniern etwas entgegen zu setzen, bauten die Zeeländer auch diese Vlieboote und setzten sie gegen die Besatzer ein. Die Erfolge waren mäßig, denn immer wieder wurde der Handel über See empfindlich geschwächt. Die Verluste aufseiten der niederländischen Schiffseigner waren erheblich. Viele Schiffe wurden genommen und die Ladung in der Regel in Antwerpen für gutes Geld verkauft.
Wurden anfangs noch viele Vlieboote gemietet, oder angekauft, änderte sich dieses nach 1590. Hier kommen für uns nun die Bestecke zum Tragen, da sie die Grundlage der hier vorgestellten Rekonstruktion bilden. Im Laufe des untersuchten Zeitraums von 1586 bis ca. 1625 kamen sehr viele Bestecke ans Tageslicht. In der sogenannten Rekenkamer C sind viele der damaligen Vorgänge fein säuberlich und gut sortiert, archiviert. Nun gibt es aber eine Vielzahl von Aktenboxen, sodass es für einen Einzelnen kaum möglich ist, in vertretbarer Zeit alle Dokumente zu sichten. Für das Jahr 1592 tauchten dann die ersten Bestecke auf. Wir wollen uns aber im Augenblick nur auf die Vlieboote konzentrieren. Doch bevor wir dieses schwierige Feld zu bestellen versuchen, halten wir Ausschau nach dem Schiffstyp Vlieboot. Nun sei angemerkt, dass es kaum geeignetes Bildmaterial dazugibt. Da wir kaum eine Vorstellung über das wirkliche Aussehen dieses interessanten Bootes haben, richten wir den Blick auf eine Abbildung auf einer Seekarte aus dem Jahre [...]. Hier taucht also ein Vlieboot auf und wird auch als solches gekennzeichnet. Der verwöhnte Leser wird wahrscheinlich enttäuscht sein, eine so mickerige Darstellung präsentiert zu bekommen. Aber es hilft nichts, es ist die einzig belegbare visuelle Quelle. Der Marinehistoriker Bernhard Hagedorn hatte Anfang des 20. Jahrhunderts die Entwicklung des Emder Seewesens im ausgehenden 16. Jahrhundert sehr ausführlich dargestellt. Leider ist er wie so viele seiner Zeitgenossen dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Eine seiner Publikationen hatten den Titel "Die Entwicklung der wichtigsten Schiffstypen bis ins 19. Jahrhundert". Unter anderem fand Hagedorn auf verschiedenen Stadtplänen, wie Stavoren, Hindeloopen und [...] Kleinstabbildungen von Schiffen. Er interpretierte diese Schiffe als Vlieboote. Vor allem auf dem Stadtplan von Hindeloopen finden wir eine recht gute Miniatur eines Vliebootes. Gehen wir auf die Suche, bekommen wir noch eine schöne Darstellung eines vermeintlichen Vliebootes auf einer Landkarte der Niederlande. Jacob van Deventer hatte diese Karte für den Kartografen Ortelius entworfen. Das dargestellte Boot zeigt eines, dass von achtern zu sehen ist. Sehr schön kann die äußere Form des Rumpfes interpretiert werden. Auch das aufgesetzte Setzbord mit dem zu vermutenden kleinen oberen Spiegel ist sehr gut zu erkennen. Ferner sind auf beiden Abbildungen die von den Verantwortlichen geforderte einfache Takelung zu erkennen. Man wollte eine Takelung, die so einfach wie möglich war. Wichtig waren Masten ohne Marse. Der Rumpf dieser Vlieboote war so gehalten, dass keine störenden Aufbauten oder Deckshäuser die Funktion des Bootes beeinträchtigen konnte. Wichtig war allerdings, dass man im Bedarfsfall ganz schnell ein loses Netz über das Boot spannen konnte. Die Niederländer nannten dieses Netz auch "bovenet". Wir kommen später noch auf Details der Ausführung, zu sprechen.
P1250077.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Eine erste Studie des Vliebootes, welches sich auf dem Stadtplan von Hindeloopen befindet.
interessantes Projekt. Ich kann gar nicht glauben, dass es keine besseren Abbildungen eines Vlieboots gibt als diese kleinformatigen Abbildungen. Die Niederländer haben doch alles aus dem täglichen Leben in dieser Zeit auf Bildern festgehalten.
Im Ortelius - Atlas konnte ich keine entsprechende Abbildung finden.
Grüße, Alexander
Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten. (Katharina von Siena)
Bewegen wir uns nun in die Richtung der Konstruktion des Rumpfes. Durch die Vielzahl der Bestecke kann der Versuch unternommen werden, den Rumpf des Vliebootes zu skizzieren. Ob sich diese Vorgehensweise wirklich eignet, ein derart altes und wenig bekanntes Boot zu entwerfen, sei einmal dahin gestellt. Der Leser möge deshalb diese Arbeit kritisch begleiten. Hier wird am Beispiel eines Vliebootes ein möglicher Weg aufgezeigt, einen Schiffsrumpf in Linien zu setzen. Dieses könnte auch allgemein gehalten werden, sodass es auch möglich wäre, ein anderes Schiff zu konstruieren.
Das Hauptspant
Die Hauptspantform kann in groben Zügen skizziert werden. Der Boden dieser Vlieboote war leicht aufkimmend. Mit 2 Fuß auf 19 Fuß Weite hat man schon eine gute Hausnummer für eine Spantkonstruktion. In einigen Bestecken war die Rede davon, dass die Reling schön rund ausgeführt werden sollte. Zugegeben, dieses kann viel bedeuten. Rund bedeutet aber auch, dass die Bordwand oberhalb der Wasserlinie nach innen eingezogen wurde. Die Schiffsweite wurde in den frühen Bestecken immer mit 24 Fuß angegeben. Später erhöhte sich der Wert auf 24 1/2 Fuß. Die Seitenhöhe der Boote betrug in den ersten Bestecken 13 Fuß, später änderte sich der Wert auf 14 Fuß. Ein weiteres wichtiges Kriterium war die Raumtiefe. Sie wurde in den ersten, also frühen Bestecken nicht eindeutig genannt. Man sprach in den ersten Bestecken davon, dass die Balkweger mit der Oberkannte auf 9 1/2 Fuß gelegt werden sollten. Um die wahre Raumtiefe zu ermitteln, war es nötig, den Balkweger im Querschnitt darzustellen. Im Anschluss daran wird der Decksbalken mit entsprechender Balkenbucht gezeichnet. Und zwar so, dass das Ende des Balkens einige Daumen in den Balkweger eingelassen wird. Im vorliegenden Fall wurde die Bucht der Balken mit [...] Daumen, die Einlassung in den Balkweger mit [...] Daumen festgelegt. Die Decksbalken hatten einen Querschnitt von einem Fuß (301,42 mm). Dieses Maß galt für den mittleren Bereich des Vliebootes um den Großmast herum. Zu den Enden hin verjüngte sich der Balken um einen bestimmten, leider nicht bekannten Wert. Die Angaben dazu waren in den Bestecken eher allgemein gehalten. Formulierungen wie im folgenden Zitat “... achter ende voren wat lichter, naer den eysch - hinten und vorne etwas leichter ...“ lassen eindeutig den Schluss zu, dass die Balken unterschiedliche Querschnitte gehabt haben. Streng genommen müssen die Decksbalken des Overloops nur im Bereich des Großmastes den im Besteck vorgegebenen Querschnitt haben. Da ja die Balken nach hinten und nach vorne in der Länge abnehmen, können sie auch in den Abmessungen geringer ausfallen. Die Belastung der Balken nimmt ja nach vorne und hinten stetig ab. In keinem der Bestecke wurde hier eine Regel hinterlegt. Ferner wurden laut Besteck insgesamt 6 Stützen für die Decksbalken verlangt. So wird jeder zweite Balken in der Mitte unterstützt. Jeder Decksbalken wurde im Bereich der Bordwand noch mit Knien abgestützt. Sie gingen bis in die Kimm und schmiegten sich mit guten 4 bis 5 Fuß Schenkellänge an die Decksbalken. Das Besteck schreibt für die Balken im Bereich des Großmastes je 4 Knie vor. Es wird allerdings nicht ganz deutlich, ob sich diese Angabe auch auf den Fockmast übertragen lässt.
P1250076.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Eine erste Überlegung, wie ein Querschnitt aussehen könnte.
P1250066.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Eine der Möglichkeiten, das Heck vielseitig zu gestalten. Hierzu kann die Heckform so gestaltet werden, dass mit wenig Aufwand ein Heckbalken, aber auch ein rundes Heck gebaut werden kann. Ob diese Boote aber wirklich ein Plattgat gehabt haben, kann nicht aus den Bestecken abgelesen werden. Es gibt Bestecke, in denen ein Heckbalken eingebaut werden sollte. Alle weiteren Bauteile, wie Randsomhölzer, Worpen und dergleichen tauchen im Text aber nicht auf. Es bleibt abzuwarten, ob bei weiteren Archivuntersuchungen derartige Details noch zum Vorschein kommen.
P1030255.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Das einzige Vlieboot, welches als solches bezeichnet wird.
P1250063.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Ein interessantes Boot. Ob es sich um ein Vlieboot handelt, soll einmal dahingestellt sein. Es zeigt ganz schön, wie der Querschnitt eines solchen Bootes aus gesehen haben kann.
Die Lage des Kajüt-Bodens variierte in der Höhe. Mal waren es 2 Fuß unterhalb des Overloops, dann wieder 1 Fuß oberhalb des Overloops. Anfangs war nicht ersichtlich, wo sich die Kajüte im Schiff befand. Am sinnvollsten erschien es, sie ganz nach hinten zu verlegen. So wurde die Kajüte für die ersten Vlieboote an das Schiffsende gelegt. Dann tauchte in einem der späteren Bestecke ein Maß von 12 Fuß von der Hinterkante des Achterstevens auf. Es sollte das Maß für das hinter Schott der Kajüte darstellen. Die Länge der Kajüte wurde in keinem Besteck erwähnt. Somit musste während des Entwurfs ein vernünftig erscheinender Wert angenommen werden. Die Zeichnung gibt hier Auskunft darüber.
Masteinteilung
Da es sich um Boote mit drei Masten handelte, sollten wenigstens der Groß- und Fockmast sehr früh in die Seitenansicht mit aufgenommen werden. In einem der späteren Bestecke wurde hierzu eine Angabe gemacht. Einen Fuß hinter der Mitte des Bootes stand der Großmast. Dieses Maß ist auch noch in anderem Zusammenhang wichtig. Die Hauptspantkontur bezog sich auf den Bereich des Großmastes, ist also im mittleren Bereich des Bootes zu suchen. Die Formulierung zur größten Schiffsweite ist nicht ganz eindeutig und lässt uns in der Gestaltung der Linien einen gewissen Spielraum.
Spanten im Längsschnitt
Nun bestehen die Vlieboote ja aus einer gewissen Anzahl von Spanten. In der Querschnittzeichnung wird also ein Typspant entworfen, welches sich auf alle anderen im Boot befindlichen Spanten übertragen lässt. Hier gibt es in allen Bestecken ausreichende Informationen. Es fängt damit an, dass die Höhe der Wrangen auf dem Kiel mit 1 Fuß angegeben ist. Die nächste nennenswerte Veränderung finden wir dann in der Kimm. Das Besteck spricht aber nicht von der Kimm, sondern von den „dubbel pooten“. Hier reduzierte sich die Stärke auf 7 Daumen. Dieses ist der Bereich, wo die Wrangen und die sogenannten Auflanger sich überlappen. Die Bezeichnung Auflanger war aber noch nicht geläufig, diese Hölzer hießen Inhouten, also Innenholz. Man wollte im Bereich der Kimm Holz an Holz haben. Der nächste Wert wurde in den oberen „dubbel pooten“ angegeben. Hier wurden noch 6 Daumen gefordert. Der restliche Bereich oberhalb des Overloops war den Verantwortlichen nicht mehr so wichtig. Hier galt die alte, auf Erfahrung aufbauende Regel der Verjüngung des Materials. Alle Überlappungen der Spantteile sollten einheitlich bei mindestens 2,5 Fuß liegen. Was nun die Breite der Spanten in Längsrichtung des Vliebootes betrifft, war in den Bestecken keine eindeutige Regel auszumachen. Die Wrangen auf dem Kiel hatten eine Breite in Schiffslängsrichtung von 9 Daumen. Die Innenhölzer im oberen Bereich lagen bei 8 Daumen Breite. Mit diesen Informationen können wir ein Spantmuster erstellen und auf alle Spanten übertragen. Die hier gezeigte Zeichnung des Längsschnittes lässt schnell die Grenzen dieses Systems sichtbar werden. Die Zeichnung vermittelt den Eindruck eines prall gefüllten Schiffskörpers mit Spanten.
P1250075.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Eine grobe, erste Überlegung zur Einteilung der Spanten im Schiff.
Dolboom.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Die Ausführung des Dolbooms war lange Zeit eine schwer zu lösende Aufgabe. Die hier dargestellte Variannte kommt dem Besteck schon recht nahe. Ob es so gewesen ist, werden wir kaum in Erfahrung bringen können.
Die Seitenansicht
Ist die Kontur des wichtigsten Spantes in groben Zügen erstellt, kann eine Seitenansicht angegangen werden. Hierzu schauen wir uns die Bestecke etwas genauer an. Zum Vorsteven gibt es verschiedene, unterschiedliche Angaben. Die ersten Bestecke aus den Jahren 1592/93 begnügen sich noch mit wenigen Angaben. Der Stevenfall, die Bucht, die Dicke und die Breite reichten den Schiffbauern, um daraus den Vorsteven zu fertigen. So sind wir durchaus in der Lage, daraus einen Vorsteven zu konstruieren. Beim Achtersteven verhält es sich ähnlich. Auch hier gibt es Angaben zur Höhe/Länge, Stevenfall, Stärke und die Bucht. Mit diesen Angaben lässt sich der Achtersteven leicht entwerfen. Was uns jetzt noch fehlt, sind Angaben zum Kiel. Auch hier geben die Bestecke Auskunft darüber, wie sich die Sache darstellen lässt. Nach der Umsetzung der besprochenen Elemente kümmern wir uns nun um das einzige Deck, den Overloop. Da wir nur auf die Höhe der Raumtiefe zurückgreifen können, nehmen wir das Maß des Decksbalkens aus der Querschnittzeichnung und übertragen es im Bereich des Großmastes in den Längsschnitt. Aus praktischen Gründen zeichnen wir dieses Deck erst einmal vom Achtersteven bis zum Vorsteven. An beiden Steven heben wir das Deck um einen gewissen Betrag an. Der Wert wird als Erfahrungswert festgelegt und kann der Zeichnung entnommen werden. Derartige Feinheiten waren den beteiligten Personen ja bekannt und mussten nicht in einem Besteck aufgenommen werden. Nebenbei war es auch eine Frage des Geschmacks, sprich der Kunde hatte hier ein Wörtchen mitzureden. Die im Längsschnitt entstehende Deckskontur liegt genau auf Mitte Schiff und entspricht einem Kreisbogensegment über drei Punkte. Da wir noch keine Informationen zur Dimensionierung der Masten haben, reicht zur Darstellung eine Mittellinie. Die Lage der Masten sind wichtig für die weitere Konstruktion. Denn als nächstes legen wir die Lage der Decksbalken fest. In den frühen Bestecke wollte man 13 Decksbalken haben. In den späteren Bestecken erhöhte sich die Anzahl auf 14 bis 16 Balken. Der Abstand zwischen den Decksbalken war in keinem Besteck hinterlegt. Das war im 16. Jahrhundert wohl noch Sache der Praktiker auf den Werften. So wurden die Balken den Erfordernissen gelegt. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts tauchen vereinzelt Angaben zum Abstand der Decksbalken auf. Geläufig wurden die Angaben dann in den vielen Bestecken zu den Flottenbauprogrammen des 17. Jahrhunderts. Eine theoretische Vorgabe mit 3 1/2 bis 4 1/2 Fuß kann auch für das 16. Jahrhundert verantwortet werden. In der Praxis war es aber dann erforderlich, die Balken nach Örtlichkeit zu legen. Die Masten waren hierzu eine wichtige Hausnummer. Dann waren die Luken zum Laderaum ein Kriterium, wo welche Balken liegen mussten. Und schließlich im Falle der Vlieboote auch das Gangspill und die große Beting. Zur Beting gab es in den späteren Bestecken den Hinweis, das ein Decksbalken 14 Fuß vom Vorsteven nach achtern liegen sollte. An diesem Balken wurden die vertikalen Hölzer für die Beting befestigt. Für den Großmast, wie auch den Fockmast benötigte man noch je eine Fischung zwischen zwei Decksbalken. Hier wurde dann der Mast in Position gebracht. Die Fischungen stützten sich vorne und hinten an einem Decksbalken ab. Die seitliche Einrahmung übernahmen dann die Scheerstöcke. Sie wurden parallel zur Mitte des Schiffes gelegt. Der Abstand zwischen den Scheerstöcken wurde in keinem der Bestecke auch nur erwähnt. Es war ja den Schiffbauern bekannt, in welchem Abstand sie zueinander liegen mussten. Die Größe der großen Luke wird sicher Einfluss auf den Abstand gehabt haben. Generell kann man zum Abstand der Scheerstöcke festhalten, dass ein Wert um die 7 Fuß ein gutes Maß darstellte. Der Besanmast stellt einen besonderen Fall bei diesen Vliebooten dar. Das Thema soll später gesondert behandelt werden. Im Augenblick genügen uns die Angaben, dass er sehr weit hinten stand. Die folgende Überlegung beschäftigt sich dann mit der Lagerung des Mastfußes. Würde er klassisch auf dem Deck stehen, kollidiert er mit der Ruderpinne. Nun haben wir in groben Zügen den Längsschnitt des Vliebootes gezeichnet. Der Schnitt erfolgt auf Mitte Schiff und wir schauen von der Backbordseite in das Boot hinein. In dieser Ansicht werden wir versuchen, alle wichtigen Komponenten des Raumes zu zeigen.
Dogboot 1602.gif - Bild entfernt (keine Rechte) Ein typisches Dogboot
Boot 1584.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Ein Boot mit Plattgat
Boot 1619.gif - Bild entfernt (keine Rechte) Ein Boot mit Rundgat, eventuell sogar ein Vlieboot
Nun hatten die Boote natürlich auch noch ein Vor- und Achterschiff. Sie waren beide rund und mussten damals wie heute entsprechend ausgesteift werden. Hier schweigen alle Bestecke beharrlich, und das unabhängig vom Schiffstyp. Vermutlich hing die Aussteifung der beiden Bereiche stark von der Bootsform ab. Im Hinterschiff hatte sich herausgestellt, dass eine horizontal ausgesteifte Konstruktion nur bedingt geeignet war. Die Außenhautplanken mussten ja auch an den Spantteilen befestigt werden. So wurde oberhalb der Schwimmwasserlinie eine vertikale Aussteifung vorgesehen. Sie wurden mit dem Abstand der restlichen Spanten zueinander entlang der Kontur angeordnet. Die Zeichnung gibt etwas besser Auskunft über die Ausführung.
Das Vorschiff
Das Vorschiff gestaltete sich etwas schwieriger, da die Schiffsform verschiedene Möglichkeiten zuließ. Drehspanten waren die erste der Möglichkeiten der Aussteifung. Sie in der Theorie umzusetzen ist kein Hexenwerk. Die Praxis auf den damaligen Werften während der Ausführung setzten dem Ganzen allerdings gewisse Grenzen auf. Schauen wir uns zu diesem Zweck einige schiffbauliche Werke vergangener Jahrhunderte an, wird schnell deutlich, dass sogenannte Drehspanten einen festen Punkt im unteren Bereich des Vorschiffes benötigten. Hierzu hatte man das Schlempholz erfunden. Es wurde dann so ausgeführt, dass ein Teil der Spantfüße auf dem Schlempholz gelagert wurde. Ein schönes in den Niederlanden umgesetztes Beispiel hatte G. D. van der Heide in seinem Standardwerk zur Schiffsarchäologie gezeigt. Auf Abbildung 111 zwischen Seite 416 und 417 wird ein niederländisches Schiff aus dem 17. Jahrhundert gezeigt. Das abgebildete Foto wurde zu einem sehr frühen Zeitpunkt noch in Ketelhaven aufgenommen. Der Fotograf stand in der Mitte des Schiffes und hat den Innenbereich des Vorschiffes aufgenommen. Ganz deutlich kann man die gedrehten Innenhölzer erkennen, die der Außenkontur folgen. Sie waren also nicht rechtwinklig zur Mitte des Schiffes angeordnet, sondern drehend mit der Außenkontur. Die schräge Neigung lässt vermuten, dass die Spantfüße im großen und ganzen in einem Punkt zusammenliefen. Leider kann die interessante Stelle nicht auf dem Foto ausgemacht werden. Hierzu wäre ein Besuch in Den Helder sicher hilfreich. Dort liegt das Schiff in einem mit Glas umrandeten Raum. Ob nun eine solche Konstruktion auch für die Vlieboote geeignet war, kann natürlich nicht mehr festgestellt werden. Es gibt weder schriftliche Hinweise noch Wrackteile derartiger Boote. Würden wir eine solche Lösung anstreben, wäre sie sicher vertretbar.
Die nächste zur Verfügung stehende Konstruktion würde damit beginnen, dass auf dem Vorsteven weitere Wrangen aufgesetzt würden. Sie könnten bis zu einem vertretbaren Maß angeordnet werden. Diese Wrangen würden anfangs noch vertikal stehen, bekämen aber schnell eine andere Richtung. Sie würden dann mit dem Wrangenfuß auf dem Steven aufliegen. Ihre Enden würden dann im Raum liegen. Auch bei dieser Konstruktion müsste man ab einer gewissen Höhe über dem Kiel auf vertikal drehende Spanten ausweichen. Das Problem mit den Außenhautplanken kennen wir ja schon vom Achterschiff.
Rumpf-01.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Die Heckkonstruktion.
Drehspanten.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Eine mögliche Konstruktion der Vorschiffspanten.
Vlieboot-2017-07-15.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Eine andere Variante wäre die Anordnung von Wrangen auf dem Vorsteven. Ob diese Variante die wirklich Mögliche sein kann, darf bezweifelt werden. Die Befestigung der Außenhaut ist auch bei der Anordnung der Wrangen ein Kriterium.
Rumpf-03.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Die Spanten von der Seite gesehen.
Warum hast du nicht die Konsturtion benutzt welche ach bei die 'Ventjager' in Lelystad benutzt ist: die spanten in Vorschiff nich auf die Kiel/steven, aber auf horizontale Wrangen Dass ist in uebereinstimmung mit die Observation das die spanten aus ein punt kommen, aber sie reichen nicht bis zu die Kiel, aber enden viel hoher, auf die Wrangen die fast bis oben angebracht sind. Audh in Harlingen haben sie dass so gemacht: die Spantteile sind kleiner, und haben weniger Bucht.IMG_0294.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)IMG_0293.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
die Vorstellung der Rekonstruktion ist ja noch nicht abgeschlossen. Ich möchte verschiedene Möglichkeiten aufzeigen. Es ist ja nicht gesagt, dass jede Konstruktion auch für jedes Schiff geeignet ist. Mir liegt viel daran, den Werdegang aufzuzeigen.
Zeichnungen zu den Einzelteilen folgen später. Sie müssen zum Teil noch angefertigt werden.
Der Schiffsraum
Wenden wir uns nun dem Inneren der Vlieboote zu, zunächst allerdings nur schiffbaulich. Die Bestecke lassen eine gute Vorstellung zu, welche Bauteile zum Bau eines Bootes notwendig waren. Beginnen wir mit dem Kielschwein. Es lag mittig auf den Wrangen und erstreckte sich von hinten nach vorne, nämlich so weit, wie es die Konstruktion zuließ. Die Abmessungen waren klar formuliert und erstaunen uns ein wenig. Der Querschnitt lag bei 6 x 12 Daumen. Vergleichen wir dieses Maß mit dem Kiel, der ja 11 x 14 Daumen entsprach, taucht zwangsläufig die Frage auf: warum hatte man das Kielschwein so schwach ausgeführt?
P1250069.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) Die Befestigung des Kielschweins am Kiel. Laut Besteck wurde durch jede zweite Wrange ein Bolzen geschlagen. Die Skizze ist nur eine Hausnummer.
Vergleichen wir andere Bestecke, zum Beispiel aus dem 17. Jahrhundert, kann festgestellt werden, das die Dimensionen sich stark veränderten. Hier war das Kielschwein in der Regel breiter als der Kiel. Die Ursache der Entwicklung vom schmalen zum breiteren Kielschwein kann heute nicht mehr nachvollzogen werden. Die nächsten schweren Bauteil waren dann die Kimmweger. Sie lagen im Übergang vom Flach zu den Auflangern. Es handelte sich, anders als bei den Schiffen im 17. Jahrhundert nur um einen Weger je Seite. Das Besteck schrieb hier einen Querschnitt von 4 x 16 Daumen vor. Die Kimmweger, die in den Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts eingebaut wurden, bestanden aus drei aneinander liegenden Hölzern. Das mittlere hatten die Bezeichnung Kimmweger, die äußeren nannten man Strijkweger. Gehen wir weiter nach oben, tauchen die Balkweger auf. Sie hatten einen Querschnitt von 3 x 16 Daumen. Ihre Aufgabe wurde an anderer Stelle schon näher erläutert. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Decksbalken hier eingelassen wurden. Die restlichen Planken, also vom Kielschwein bis zum Balkweger nannte man schlicht nur die Wegerung. Ihre Stärke betrug 2 Daumen.
Der Raum unterhalb der Decksbalken wurde noch mit verschiedenen, sehr schweren Hölzern versehen. Man sprach aber nicht von den klassischen Kattspooren, sondern von Valhouten. Sie wurden in einigen Bestecken erwähnt und ihre Anzahl lag bei 4 bis 6 an der Zahl. Anders als die Kattspooren reichten sie laut Besteck vom Deck bis zum Kielschwein. Es müssen sehr massive Hölzer gewesen sein. Ferner kamen dann noch sogenannte cropp- und Piekwrangen ins Spiel. Hier war es aber nicht möglich, sich ein klares Bild zu erarbeiten. Die Angaben in den Bestecken waren sehr vage gehalten. Möglich, dass die zusätzliche Aussteifung im Raum den Erfordernissen der Struktur ausgelegt wurde.
Noch eine Frage: Du zeichnet das Haupspant repativ rund and die Unterseite. Gibt es irgendwo in die Bestecke ein Referenz zu das Flach (Breite, und auch die Frage wie hoch das Flach reicht in die Kim?)
Wann das Flach nicht so stark gekrumt ist wie in deien Zeichnung, gibts das ein ziemlich andere Rumpform (wie zb bei die Eendracht)
ZitatIch kann gar nicht glauben, dass es keine besseren Abbildungen eines Vlieboots gibt als diese kleinformatigen Abbildungen
Da gibt es wirklich kaum Material. Die wenigen Abbildungen geben auch nur einen groben Überblick. Das Problem könnte auch sein, daß wir ein Vlieboot gar nicht erkennen, selbst wenn wir es vor uns haben. Ein interessanter Ansatz kommt aus einer ganz anderen Richtung. Im Buch über die Entwicklung der englischen Sloop wird sehr schön aufgezeigt, daß im Gegensatz zu den großen Einheiten, mit den kleinen Booten sehr viel experimentiert wurde. Es war ratsam den Rumpf getrennt von der Takelage zu betrachten. Eventuell verhält es sich beim Vlieboot ähnlich, der Rumpf hat bestimmte Eigenschaften aber die Takelage variiert. Das Sichten von Abbildungen wäre erschwert. Ob dies tatsächlich zutrifft weiß ich nicht, es wäre aber eine Erklärung warum es so schwierig ist Abbildungen zu finden, obwohl der Typ in Massen gebaut wurde.
ZitatEine der Möglichkeiten, das Heck vielseitig zu gestalten. Hierzu kann die Heckform so gestaltet werden, dass mit wenig Aufwand ein Heckbalken, aber auch ein rundes Heck gebaut werden kann. Ob diese Boote aber wirklich ein Plattgat gehabt haben, kann nicht aus den Bestecken abgelesen werden. Es gibt Bestecke, in denen ein Heckbalken eingebaut werden sollte. Alle weiteren Bauteile, wie Randsomhölzer, Worpen und dergleichen tauchen im Text aber nicht auf.