Ich meine, wir müssen uns unserer Vergangenheit stellen. Sowohl der historischen als auch der persönlichen.
Peter hat geschrieben, daß irgendwelche Geistesgrößen das Wort "Holocaust", was viel mehr ist als nur ein Wort, auf der Tafel weggekratzt haben. Wir dürfen es doch nicht zulassen, daß die Vergangenheit einfach gelöscht wird. Sonst haben die, die sich einfach ihre eigene Geschichte schreiben und für ihre Zwecke mißbrauchen, am Ende gewonnen. Gerade deshalb finde ich auch dieses Thema richtig und auch richtig.
Und Peter: Dein Vater war bei der RAF, meiner im Ruhrkessel bei der RAD-Flak. Vielleicht mußten beide aufeinander schießen. Wenn dem so war, bin ich froh, daß beide nicht getroffen haben.
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!" (Walter Ulbricht - 1961)
Ich bin die letzten drei Tage der Weihnachtsferien in Berlin gewesen und habe mich da ausschließlich mit der Geschichte der Mauer, dem "Antifaschistischen Schutzwall", befasst. Drei Monate nachdem Ulbricht eines der unverschämtesten Lügen der Deutschen Geschichte von sich gegeben hatte (s.o!), begann der Bau der Mauer. Vorher dienten Beschilderungen und Grenzkontrollen der Sicherung der innerdeutschen Grenze, wie hier am Reichstag. Auf dem Schild steht "Ende des demokratischen Sektors von Groß-Berlin in 36m Entfernung". Der Fotograf befand sich im Osten, das Schild also auch! Der Reichstag im Hintergrund im Westen. Um jedoch die Massenflucht von Ostberlinern in den Westen zu stoppen wurde eine Mauer um das von den Westalliierten besetzte Westberlin gezogen.
Am härtesten war die Bernauer Straße im Norden der Stadt, zwischen den Stadtteilen Mitte und Gesundbrunnen betroffen. Die Häuserfassaden waren die Landesgrenze. Wenn die Bewohner der Häuser die Fenster öffneten um nach draußen zu sehen, waren ihre Körper im Osten, ihre Gesichter jedoch im Westen. Die Häuser wurden nach und nach zwangsgeräumt, die Fenster zugemauert. Gerade die Bernauer Straße war Schauplatz spektakulärer Fluchten, es gibt Filmaufnahmen von Leuten, die aus den Fenstern der oberen Etagen in Sprungtüchern der Feuerwehr springen. Leider gab es auch viele Opfer zu beklagen. Wenn man genau hinsieht, kann man an den zugemauerten Fenstern Öffnungen erkennen, diese dienten den Vopos (Volkspolizisten) als Sehschlitze.
Wir befinden uns hier im Französischen Sektor und blicken in Richtung Süden. Westberliner winken ihren Verwandten in der DDR zu. Die Mauer die hier zu sehen ist, ist die Mauer der ersten Generation.
"Straßensperrung verursacht durch die Schandmauer"
Ein Bild geht um die Welt. Der "Sprung in die Freiheit". Der Bereitschaftspolizist Conrad Schumann bewacht mit zwei weiteren Kollegen den Bau der Mauer an der Ecke Bernauer Straße/Ruppiner Straße. Er raucht kette. Er lehnt sich an die Häuserwand, geht auf die Stacheldrahtabsperrung zu und drückt sie mit dem Schuh etwas tiefer. An der Westseite versammeln sich Schaulustige, die bald merken: hier passiert gleich etwas. Die Bundespolizei wird herbeigerufen, Kamerateams tauchen auf. Ein geschlossener Kastenwagen der Bundespolizei kommt angefahren und parkt mit geöffneten Hecktüren in Richtung Schumann um ihm zu signalisieren er wird in Sicherheit gebracht. Schumann erkennt das Signal, nimmt Anlauf, läuft los und springt über die Absperrung, dabei wirft er seine Kalaschnikow weg. Innerhalb von Sekunden befindet er sich im Kastenwagen und wird weggefahren. Da bekannt ist, dass die Stasi Flüchtlinge teilweise sogar mit Gewalt in die DDR zurück verschleppen und sie zu hohe Zuchthausstrafen verurteilen, bekommt Schuman eine neue Identität und kommt in Süddeutschland unter. Er bekommt Arbeit in einer Fabrik, lernt dort ein Mädchen kennen und verliebt sich in sie, die beiden heiraten und werden Eltern eines Sohnes. Schumann wird von Verfolgungsängsten geplagt. Er sagte später selbst, wirklich frei war er erst ab 1989 als die Mauer fiel. 1998 beging Conrad Schumann Selbstmord.
Zugänge zu U-Bahnhöfe wurden zugemauert, die Bahnhöfe selbst zu "Geisterbahnhöfe". Die westliche U-Bahn durfte trotzdem durch diese Bahnhöfe mit gedrosselter Geschwindigkeit fahren, anhalten durfte sie nicht. Die Geisterbahnhöfe waren nicht beleuchtet, Fahrgäste berichten von Vopos, die Wache schieben, die trotz der Dunkelheit in den Bahnhöfen auszumachen waren. Hier ist der U-Bahnhof Bernauer Straße gleich an der Mauer auch zugemauert.
Die 80jährige Olga Segler lässt sich von ihrer Tochter, die bereits im Westen sich befindet, anfeuern aus dem Osten zu fliehen. Frau Segler springt aus einem Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock des Hauses Bernauer Straße 34 in ein Sprungtuch der Feuerwehr und zieht sich dabei so starke Verletzungen zu, dass sie am folgenden Tag stirbt. Unmittelbar danach wird von Westberlinern im Bürgersteig an der Stelle ein Gedenkstein an Olga Segler eingelegt. Der Gedenkstein ist immer noch da!
Bernauer Straße, Ecke Eberswalder Straße. Wir sehen hier die späte Mauer der 4. Generation. Die erste Mauer, die in den vorigen Bildern zu sehen ist, war niedriger; der Todesstreifen nicht so breit. Das historische Bild stammt aus den 80er Jahren.
Ein noch erhaltener Bereich der Mauer und des Tosdesstreifens an der Bernauer Straße gesehen vom Aussichtsplattform Gedenkstätte Bernauer Straße
"Wer unsere Grenze nicht respektiert... (süffisantes Schulterzucken) ...der bekommt die Kugel zu spüren!" (Armeegeneral Heinz Hoffmann - 1966) Insgesamt bekamen 100 Ostdeutsche bei Fluchtversuche in den Westen die Kugel zu spüren. Einer davon war 1962 Peter Fechter. Gerade der Fall Peter Fechter machte in aller Welt die Grausamkeit der Berliner Mauer deutlich. Der damals 18jährige Bauarbeiter hatte beruflich in der Nähe der Mauer zu tun. Am Freitag, dem 17. August 1962 versuchte der 18-jährige Fechter zusammen mit seinem 18-jährigen Freund und Arbeitskollegen Helmut Kulbeik, die Mauer in der Zimmerstraße in unmittelbarer Nähe des Checkpoints Charlie zu klettern. Während Kulbeik dies gelang, wurde Fechter vor den Augen etlicher Zeugen noch auf der Mauer ohne Vorwarnung von mehreren Schüssen getroffen, fiel zurück auf Ost Berliner Gebiet und blieb bewegungsunfähig fast eine Stunde im Todestreifen liegen. Peter Fechter begann laut um Hilfe zu schreien, so dass sich bald auf beiden Seiten der Mauer eine Menschenansammlung bildete. Auf der Ostseite wurde sie umgehend von Ordnungskräften zerstreut, und auch auf der Westseite wurde ein beträchtliches Aufgebot der Polizei zusammengezogen. Die Polizisten stellten zwar eine Leiter auf und warfen Fechter Verbandspäckchen zu, durften allerdings nicht weitergehend helfen, weil sich Fechter auf dem Gebiet der DDR befand. Weder die DDR-Grenzer noch die am Checkpoint Charlie diensthabenden US- Soldaten kamen ihm zu Hilfe, obwohl eine immer größer werdende Menschenmenge auf der Westseite sie lautstark dazu aufforderte. Begleitet von wütenden Mörder-Rufen holten ihn schließlich Grenzsoldaten der DDR aus dem Todesstreifen. Peter Fechter verblutete und starb gegen 17:00 Uhr im Krankenhaus. Das historische Bild hier tauchte in den 90er Jahren in Stasiunterlagen auf. Es zeigt die Mauer der 4.Generation, Peter Fechter versuchte die erste Mauer zu überwinden. Westberliner haben in seinem Gedenken ein Kreuz aufgestellt. In meinem Bild vom vergangenen Mittwoch sieht man am Bürgersteig eine zylindrische Form, dies ist das neue Denkmal an Peter Fechter, etwa da wo früher das Kreuz stand. Die doppelte Pflastersteinreihe zeigt wo die Mauer war. Poller, links neben der Mauer, hindern Autofahrer daran ihre Fahrzeuge an der Stelle an der Peter Fechter verblutete Fahrzeuge zu parken.
Die Bösebrücke, genannt nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Wilhelm Böse an der Bornholmer Straße im Stadtteil Gesundbrunnen im Norden Berlins. Der Grenzübergang Bornholmer Straße war bis 1989 der nördlichste Grenzübergang an der berliner Grenze, es war auch die erste Grenzstation die in der Nacht vom 09 bis zum 10.11.1989 die Schlagbäume geöffnet und damit auch den Fall der Mauer eingeleitet hatte. Ich war drei Tage in Berlin und ich muss sagen, wie beeindruckt ich bin, wie besonnen Berlin mit der Geschichte umgeht. Sie ist wahrhaftig spürbar!
Freude pur! Grenzübergang Bornholmer Straße 09. November 1989
Danke für diesen tollen Bericht und diese gelungene Gegenüberstellung alter und aktueller Fotos. Von Ende 2010 bis Mitte 2017 habe ich, zumindest unter der Woche, ganz in der Nähe von der Bernauer Straße gewohnt und bin sehr oft an den verschiedenen geschichtsträchtigen Stellen vorbeigegangen. Bestimmt bist du auch am Mauerpark vorbeigekommen. Wenn du mal wieder nach Berlin reist, komm im Sommer. Dann erlebst du dort täglich ein friedliches und lebhaftes Miteinander verschiedener Kulturen und kannst im Mauersegler, einem gemütlichen Biergarten, das leckere Mauerseglerpils genießen.
Es ist, glaube ich, für nahezu alle Berliner, egal ob Ost oder West, eine große Erleichterung, dass diese schlimme Zeit 1889 ihr Ende fand.
Hallo Peter! Danke für diese Erinnerung! Man bzw. die Welt vergisst so schnell. Dein Bericht ist deshalb wertvoll und wichtig! Meine eigenen, ergänzenden Berliner Aufnahmen von 1964: Stacheldraht, Panzersperren, zugemauerte Fenster, leere Hauptstrassen in Ostberlin und große "Reklametafeln" ("Der Bonner Drang nach Lebensraum im Osten kann nur Kopf und Kragen kosten"; "Westberliner! Lasst Euch nicht den Blick verkleistern nur in Frieden läßt sich die deutsche Zukunft meistern"). Ein Wiedersehen mit meiner Verwandtschaft "im Osten" war damals schon lange nicht mehr möglich.
achilles
hat folgende Bilder an diesen Beitrag angehängt
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Das sind tolle Bilder @achilles vielen Dank dafür. Die leere Hauptstrasse in Ostberlin (Bild 6850) sieht für mich wie die Friedrichstraße aus, im Hintergrund die U-Bahnhaltestelle Oranienburger Tor. Hier seht ihr die Ecke Friedrichstraße/Oranienburger Straße einmal im Mai1945 und im Januar 2019
Es ist schon Irre, wie schnell Wunden heilen. Dieser Irrsinn ist erst 30 Jahre her, aber der Mauerverlauf ist, außer einer Pflasterreihe, eigentlich nicht mehr erkennbar. Was müssen die Kommunisten für ne Angst vor ihren eigenen Leuten gehabt haben.
Uwe vom Dunkelwald (lat.: Miriquidi)
Mitglied des Phantomprojektes Recherche: Fleute Zeehaen Kiellegung: Golden Hinde Fertiggestellt: Die Kolumbusflotte